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16.12.2002
 
Knud Wollenberger
 
 
Ein letztes deutsches Gedicht
 

Auf meiner Schreibplatte liegen Bücher
Ist es ein Zufall
Habe ich sie dahin getan
damit ich schreiben werde
Stefan George (Reklam, zu Leipzig, 1987)
auf Nelly Sachs (Suhrkamp, Frankfurt/M., 1988)

Stefan George - Nelly Sachs
na:
...Wer begreift sein flehn:
>Die ihr die fuchtel schwingt auf leichenschwaden
Geschwister, Ausgesetzte vor den Türen der Welt
Wollt uns bewahren vor zu leichtem schlusse
das ist
nicht, lustig, nicht gemeint
O welche Rune schreibt der Erdenschoß
mit einer Eiche qualverbogenem Geäst
in diese Luft, die Zeit mit Schreckenmuster malt

Und vor der ärgsten, vor der Blut-schmach!< Stämme
Die sie begehn sind wahllos auszurotten
Wenn nicht ihr bestes gut zum banne geht
Würg mich
Kannst Dus zusammendenken als ein Text, nur
einen Inhalt, eine Form
die bricht

Von deinem Gott war die Rede
Vom Lachen
Dein Aug sah mir zu, sah hinweg,
dein Mund
sprach sich dem Aug zu, ich hörte: ein fernes
Klappern der Teller, ferne Gespräche
Wir
wissen ja nicht, weißt du,
wir wissen ja nicht,
was
gilt.

 

 

Das Gedicht: Ein letztes deutsches Gedicht ist wesentlich ein Zitat:

Stefan George Vom Krieg (1917)
Nelly Sachs verschiedene Gedichte und
Paul Celan Zürich, Zum Storchen.

Es fragt, das ist evident, ob deutsche Literatur unschuldig ist an den Verwerfungen des jetzten Jahrhunderts, und gibt am Beispiel Georges eine negative Antwort. Literatur ist nicht wirkungslos. War es doch genau das Gedicht Georges: Der Wiederchrist, das den deutschen Terroristen Graf Klaus Schenk von Stauffenberg zum Attentat auf Hitler inspirierte.