Ich trage mein spanisches Sommerkleid, elastisch, kurz und rückenfrei. Sein türkiser Stoff legt sich weich über Po und Brust, gehalten nur von einem Knoten im Nacken. Jede Rundung zeichnet sich unter dem dünnen Stoff deutlich ab, jede Bewegung ist gut zu sehen, vor allem, da ich himmelblaue high heels trage, jede Bewegung meines Pos.
Gegen die Hamburger Nässe habe ich mir, passend zum Kleid, noch ein türkisgrünes Nikkijäckchen besorgt, mit Kapuze daran. Ich sitze, die Kapuze bis zu den Augen gezogen, am Kanal. Es nieselt. Ich sitze unter einem japanischen Sonnenschirm aus Papier. Dieser Schirm wird mich vor der Feuchtigkeit nur kurz bewahren.
"Finger weg", sage ich und schiebe die Hände des Ehemanns meiner Hamburger Freundin von meinen Knien.
Es ist Herbst in Hamburg. Vom Wasser steigt die Kälte auf. Im Garten meiner Freundin blühen nur noch die weißen Anemonen. Bald wird es Winter sein und keiner geht mehr raus. Was schade ist, so schön ist der Garten am Kanal. Ein kleiner Park eigentlich, eine absteigende Rasenfläche, durch die ein leicht geschwungener Pfad bis zum Sitzplatz führt unter der Weide am Ufer. Meine Freundin hat eine dichte Reihe Windlichter an den Pfad gestellt, die jetzt, in der Dämmerung, ihren Gästen den Weg zum Wasser weisen.
Meine Freundin bringt uns eine Decke.
Wenn wir unter dem Sonnenschirm sitzen, ihr Mann und ich, eine Decke über den Beinen, mit dem Rücken zum Wasser, sehen wir ihre Villa leuchten. Die Lichtreflexe der Discokugel flirren über die Decke des Salons. In den hohen Fenstern stehen Menschen und reden. Wir hören Stimmen und Musik.
Meine Hamburger Freundin hat ihrem Haus ein Geburtstagfest geschenkt. 120 Gäste für 120 Jahre. Wir sind gekommen, um die Schönheit des Hauses zu feiern, die sie Schicht um Schicht zum Vorschein geholt hat unter den Bausünden der letzten hundert Jahre. Zum Jubiläum bekam das Haus sogar eine Torte geschenkt, ein Meisterwerk der Konditorenkunst. Darauf die Fassade aus Marzipan. Und in den Ecken Marzipanröschengestecke.
Ich habe mich sorgsam schön gemacht. Ich habe im Marmorbad des Hauses Haut und Haar gesäubert. Ich habe mein rotes Haar zu einer Mähne gefönt, lang, dick und struppig. Ich habe meine Fußnägel rot lackiert. Ich habe meine hell glänzenden Seidenstrümpfe über die Beine gezogen und mein Nixenkleid angelegt. Ich habe meinen Mund bemalt und mich in Duft gehüllt.
Unter der Discokugel tanze ich. Ich drehe mich. Der Boden ist glatt, aber ich falle nicht. Ich tanze mit einem großen Mädchen im Kleid seiner Mutter. Es trägt violette Seide zu schwarzer Haut und dichten dunklen Locken. Wie ein Plattencovergirl aus einer Zeit, in der die Mädchen trotz freier Liebe Blumenkinder blieben.
Mir ist heiß. Ich ziehe mein Nikkijäckchen aus und trinke schnell ein Glas. Der Mann meiner Freundin tanzt mir mir. Er greift meine rechte Hand und trägt sie in seiner linken. Er führt mich. Ich füge mich. Er bestimmt, wohin ich mich drehe. Ich bin aufmerksam, ich erkenne seine Zeichen. Seine rechte Hand legt er auf meine rechte Hüfte. Er zieht mich an sich, so, dass sein linkes Bein zwischen meinen Beinen tanzen kann und mein rechtes Bein zwischen seinen. Wir sind ein harmonisches Paar. Miteinander verschmolzen im Takt der Musik. Seine rechte Hand rutscht von meiner Hüfte auf meinen Rücken, vom Stoff meines türkisen Kleides auf meine nackte Haut. Er lässt seine Hand dort so lange liegen, bis ich seine Fingerabdrücke einzeln spüren kann.
Er sagt: "Du trägst immer weniger".
Der Ehemann meiner Hamburger Freundin malt Bilder vom Meer. Er malt blaugrüne Wellen mit Schaumkronen darauf und stürmischen Himmel, Segelboote dazu. Er malt so, wie der Hamburger die See sieht, er malt Seestücke für Pfeffersäcke.
Er möchte mich, in Türkis, auf dem weißen Ledersofa sehen.
"Du passt so gut zu meinem Bild, das darüber hängt", sagt er.
Ich lümmele mich auf das Leder: Meine langen Beine über die Armlehne gelegt, so dass meine blauen Schuhe mit einem Knall auf das Parkett fallen.
"Ich bin nicht das Meer, aber uferlos", sage ich.
Er lacht.
Meine Freundin steht jetzt, schmal, in Schwarz, neben ihrem Mann.
Beide betrachten mich.
Er sagt zu ihr: "Sie ist so wunderbar".
Sie sagt zu mir: "Du kannst ihn gerne haben, meinen Mann".
Wir tanzen wieder. Ich sehe zu ihm auf. Der Mann meiner Freundin ist ein großer, gut aussehender Mann. Er trägt elegante Anzüge und weiß, wie man das Weinglas hält. Mit seiner rechten Hand, die jetzt dicht unter meinem linken Schulterblatt liegt, zieht er meine Brust an seine Brust, meine Nase an seinen schweißnassen Hals.
Er flüstert in mein Haar: "Ich mag Dich".
Ich sage: "Ich mag nicht."
Es ist spät. Wir sind alle müde. Wir sehen so alt aus, wie wir sind. Der Schallplattenunterhalter legt langsame Lieder auf. Meine Hamburger Freundin tanzt mit einem Münchner Arzt. Sein weißes Haar hat er zur Igelfrisur gegelt. Er trägt Frack. Sein Gesicht ist braun gebrannt. Die beiden tanzen langsam. Sie haben ihre Wangen aneinander gelegt. Das Gesicht meiner Freundin sieht glücklich aus. Wer weiß. Das alte Haus hat viele Zimmer.
Es schüttet im Garten. Die japanischen Papierschirme sind nass. Die Kerzen erloschen. Die Musik ist aus. Die letzten Gäste gegangen. Über die Decke des Salons flirren weiter die Lichtreflexe der Discokugel. Auf der Geburtstagstorte steht nur noch die Hälfte der Fassade, den Rest haben die Gäste gegessen. Es fehlen auch die rosa Marzipanröschen in den Ecken. Die Torte sieht aus wie nach einer Tortenschlacht.
Ich bin noch da. Ich stelle mich verschwitzt in den Regen. Ich spüre, wie das Wasser zwischen den Wimpern hindurch läuft und die Augen benetzt. Mein Kleid tropft. Ich leere meine Schuhe aus. Alles ist durch die Nässe einen Farbton dunkler geworden. Ich lege mein Kleid ab, ziehe meine klebenden Seidenstrümpfe aus und gehe allein ins Bett.
|