lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik
 
 
Timon Seibel
 
 
literaturlabor im August 2010
geändert vom Autoren: 5.10.2010
 
Zone 2
 
frei nach Guillaume Apollinaires Langgedicht „Zone“ 100 Jahre später
 
But I grew
weary travelling without maps.
Jeremy Balius
 
Hans Ast
 
[...]
 
Da nun also der schöne Platz und du bist nur ein kleiner Bub
an deinem Bett sitzt deine Mutter sie legt die Hand auf deine Stirn und betet
du bist auch sehr kinderfromm und mit dem ältesten deiner Freunde Jeremy Balius
ihr liebt nichts so sehr wie die Erzählungen von Jona den Götzenpriestern Baals
          und euer Lieblingsfilm ist die Stunde des Siegers
Es ist neun Uhr das Licht ist aus ganz grün schleicht ihr auf leisen Zehen aus dem Schlafraum
          hinaus
ihr betet die ganze Nacht im Jungscharschiff eures freievangelischen Internats
derweil das ewig frisch gegossne Grab der Auferstehung
auf ewig schwenkt die flammenden Glorien des Herrn Jesus Kapitalismus
es sind die schönen Blumen die wir alle anbauen
es sind die schönen Häuser die wir alle wieder abbauen
es sind Ehre und Euro die Kräfte gemeinschaftlicher Staaten sie ziehen die alte Welt
          an einem neuen Strang
es sind die Subventionsstreitereien zwischen Airbus und Boeing in den Vereinigten Staaten
          streiten sie in einem dunklen Gang
es sind die Flugreisenden in Boston sie checken ein für den Flug American Airlines eleven
es sind auch viele Kinder dabei sie stehen und singen zusammen stairway to heaven
es sind die gesellschaftserhaltenden Großprojekte Manager die in Wellness blubbernde
          Öllämmer beißen
es sind Mohammed Atta und seine Crew die das Cockpit stürmen und das Steuer an sich
          reißen

es sind Jesus und Mohammed der Prophet auch sie sind mit an Bord
sie stoßen an mit Sekt auf den Weltmeistertitel beim Darwin Award
 
Hans Ast
 
Blenden Bullauge Christi
Medien des 3. Jahrtausends ihr versteht euch drauf und geht auf Sendung
und verwandelt in eine Bombe kracht das neue Millennium in das Wahrzeichen
          der Verschwendung
die Teufel in den Schluchten heben ihren Kopf um es anzuschauen
sie sagen die Architekten wollten das World Trade Center so bauen
dass nur Atombomben es schaffen werden es niederzureißen
sie schreien wenn es einstürzt soll man es World Hate Center heißen
Engel und buddhistische Geister umflimmern das Schauspiel auf den weltweit verteilten
          Fernsehbildgeräteren
Hermes Trismegistos Maat Anubis und Thot die späteren
umflattern den ersten großen multimedialen Turmsturz zu Babel
jetzt weichen sie dem Nordturm aus er kommt zu Fall wie der Held einer Parabel
die Twin Towers kommen endlich zum Erliegen mit 1.800.000 Tonnen
die Fernsehgucker sehen Rauch aufsteigen düster und mächtig viele schwarze Sonnen
der Kameramann zoomt heran wir schauen Mohammed aus Trümmern erscheinen in all
          seiner Pracht
mit einem Anschnallgurt ist er an die fünf Säulen des Islam festgemacht
jetzt erst sehen wir Jesus aus schwarzem höllenheißem Qualm aufsteigen
sein Wiederauferstehungsmotor treibt ihn in die Höh begleitet vom sphärischen Spiel zweier                                                                                                                         Geigen
der Himmel füllt sich mit 2771 postmortalen Hyperphysen die Gluten unter ihren Flugbeuteln
          schwelen
es sind viele Ba viel Kharma und Mitama spontane Jadezeichen und überkonfessionelle
          Seelen
die Gottkaiser der fünf Himmelsrichtungen erscheinen und die unsterblichen Verkehrsbeamten
regeln den Paradiestransit Psychopompos verliest die Register göttlicher Offzianten
einen Kanal höher ist die Perspektive besser wir sehen aus dem Rauche fliehn
die DNA das lange Polymer hinter ihr in einer Flugfähre Adenin Cytosin Thymin Guanin
jetzt kommt Dolly der erste Klon wie das Jesuskind fliegt er in einer Wiege
dicht neben ihm mit verrußten Beinen die Schiege die Mischung aus Schaf und Ziege
die Rauchzeichen des 11 Septembers lesend kommen Kopenhagen und Cancún heran
sie sollen den Mut der Erde kühlen und sprechen Problemlagen des Klimas an
die Regie fängt einen Steinadler ein welch stolzer Flug auf breiten Schwingen einen Blumentopf
hält er in seinen Krallen aus dem Wurzelhals treibt der Schädel Charles Darwins wie der
          erste menschliche Kopf
aus den Reservaten schweben herbei die Wanderindianer auf fliegenden Büffelfellen
sie verstehen das Zeichen schwarzen Rauches und auch die Prophetie in vielen Fällen
an Feuerstellen warten sie auf 26 Millionen Wanderarbeiter sie nahen auf Zulieferflügeln aus
          Guandong
in der Wall Street packen sie den Börsencomputer Sybase CEP aus einem großen Karton
ein zorniger Flaschengeist zischt er zu dem Unglück hin und verkauft dabei und kauft 8000mal           pro Sekunde
jetzt kommt das Silizium und schaut und auch die neuen Hightechmetalle Indium Gallium           Neodym gaffen drehen im Himmel eine Runde
auch fliegt Jürgen Habermas vom Atlantik her auf leichten Schwingen
aus seinem Antlitz ragen links und rechts zwei Münder zur linken erklingen
die Kritik der praktischen Vernunft und zur rechten die Entstehung der Arten
und über ihm in der Antimateriefabrik im Himmel stehen die Kameras von CNN und erwarten
den Auftakt des göttlichen Dirigenten Cherubim und Seraphim Osiris und Re sie singen
          zusammen empirisch erprobt
dein Reich komme dein Wille geschehe der Name des CERN sei gelobt
und nun da alle Welt in das Bullauge Medienchristi schaut kommt auch der Prophet Hesekiel
und gemeinsam alle studieren sie des 3 Jahrtausends Menetekiel

 
[...]
 
Hans Ast
 
 
 
Bilder sind Teil einer Installation zum gesamten Text
von oben nach unten:
 
- hans ast, ohne titel, 2009
  acryl, pastellkreide, buntstift, kruzifix, sicherheitshandschuhe auf holz, 78 x 118 cm
- hans ast, ohne titel, 2010
  acryl auf leinwand, 70 x 100 cm
- hans ast, schnabeltier mit handschuhgeweih, 2010
  acryl, pata negra, sicherheitshandschuh auf kartoffelsack, 50 x 70 cm