lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik
 
Tom Schulz
 
 
1. preis für weltsame lyrik / gewinnerdicht
 
Die Schwangere
 
Sie trägt schon schwerer
als der Himmel in den See
sich senkt

Es heißt:
der Wind hält an -
Doch ihre Schöße wehn

Die Ruder Blätter
wenn das Wasser flieht

Jetzt, zwischen Stillzeit u. Prägnanz
weiß sie, trinkt sie den Wein

Im Winter liegt das Boot
am Schilfwald u. die Entengrütze
treibt in Gedichten um die Ufer

Dann raucht sie eine blaue Zigarette
(im Gitterbett mit schönen Augen, ausgeweint)

Sie hat den Mann ins Kissen eingenäht:

Noch vor der siebten Stunde hört sie die Krähen schlagen aus dem Baum.
 
 
lauter niemand 3
 
die handymänner hören ihre müllbox ab
 
Im Funkloch aasen sie am Straßen-
Rand/In den Frequenzen abgekackt
Auf deutscher Welle: Thyssen Blut
Und Stahl/Bei Mannesmann gibt's Tote
Wer die Wahl, hat eine Freisprech-
Anlage/Zum Bunker die Verbindung
In Himmlerfahrtskommandos
Und hast du keinen Zahnarzt
Aber einen Scyntologen
Dann wird zum Geisterfahrer

Mit Hits aus dreißig Jahren
Die Handymänner hören ihre Müllbox ab
Und manchmal zwitschert etwas
Auf dem Band/Sechzehn heimische Sing-
Sangvögel/Terroristen, die ihre Stimmen
Verstellt/Das Bambirad des Filial- Leiters entführt haben
Mit Hits aus zwanzig Jahren
Zum Herbst hin/Gewinnen
Die Leichen an Größe
ICH VERURTEILE DIE ERMORDUNG
HANNS MARTIN SCHLEYERS (Erich Fried)
Ich verurteile die Erprobung
Medikamentöser Biere in Schnell-
Restaurants lege ich Zettel aus:
ICH BIN SCHIZOPHREN
MIT DEM KAUF EINES KLEINEN GEDICHTES
HELFEN SIE MIR
Die Handymänner hören ihre Müllbox ab
Wischen den Lippenstift von den Options-
Scheinen/IG FARBEN HEISST
BAYER GLEICH HOECHST
Genieß den nächsten Takt im Netz
Mit bayerischen Motoren rasest du
Warte nur, balde tötest du auch
Einen Hasen bei Gladbeck
Liebling, ich ruf dich aus dem Blutbad an
In Funtarife rede sich, wer kann
Nach Stalingrad, berufen
In den Vorstand dieser Bank
Sie wissen schon ...
Auf der A 10/In Richtung Gleiwitz
Wie auf einem Schleudersitz:
Mit Hits aus fünfzig Jahren Faschismus
 
 
literaturlabor 05.05.2002
 
Zwei Beutel genügen u. heißes Wasser
für eine Kanne Tee.
An Nachmittagen, die ausmalen Stille
in Glas die grüne Sprühfarbe im Oberlicht.

Im Sofa liegend ausgestreckt derweil; die Katze
auf den Ringelfüßen spart den Muff.

Bei Dämmerung werfen die Pflanzen Blätter.
Ins Grüne schreibt sich eine Fantasie in Cis.

Die Zeilen einiger Gedichte taugen als Not-
beleuchtung. Später, der junge Wein rötet
die Küche; Zwiebeln treiben aus.

Im Hof, nachts, tuscheln Glascontainer
mit Gurkenkraut u. einer Jägerzeitung.

In Fängen schwirrn die Regenmacher fort
u. zappeln, daß man hören kann, wie sich
ihr dumpfer Atem auf die Ziegel flacher
Dächer wirft.