lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik
2008
 
Annina Luzie Schmid
 
 
Vom Klingeln
 
Bald ist es so weit. Das wissen die Schlüssel zur Tür, die Tür selbst, ihr Griff in Messing, das weiss der Türöffner und auch das Laub, das in ein paar Monaten Erde und, falls es dann noch Natur gibt, im nächsten Leben zum Baum wird. Dass es bald klingelt, weiss auch mein Nasenflügel, der flattert wie ein Kolibri, der über dem See in der Luft steht, so stet und unstet wie eine Fata Morgana sich über den Wüstensand hebt, sich zieht, flieht, vergeht. Es klingelt bald, so heftig als riefe Gott selbst zum Gebet, so erschütternd wie Zinnglocken schlagen, wenn man im Kirchturm steht, auf schiefen Stufen, alles wackelt, sich dreht und sich der Ausblick auf eine Stadt, die sich einem erst eben gerade in Runen und Rechtecken eingeprägt hat, vergisst. Ich weiss genau, wie dieses Klingeln ist, das man in Demut erwartet, dem man nachgibt, ehe es noch völlig verstummt, weil man denkt, dass das Glück mit ihm kommt, sich vielleicht sogar einrichtet, bleibt, und sonst nie wieder, zu keiner Zeit. Das Klingeln ist Wärter des Käfigtores, man selbst ist der Tiger, der in der Steppe da draussen zu neugierig war, zu langsam oder naiv, der sich fangen liess. Das vor dem Klingeln ist nach dem Klingeln im Konjunktiv und die Dielen, die Teppiche wissen das auch, sie fordern mich zum Gehen auf, schieben sich aus dem Haus mit mir drauf, sammeln eines nach dem anderen, alle Herzen auf, die mir in die Hose rutschen, reichen sie wieder rauf und ich, die nicht gehen will oder doch oder halb oder zumindest ein bisschen, ich stecke sie mir in die Brust zurück, hoffend, dass keiner sieht wie das Klingeln, das sicher bald wird, mich zu einem schreckhaften Pferd macht und quält. Zu einem Pferd, das im Geiste ein Tiger ist, will, dass, wer klingelt, es pflegt, ihm die Mähne strählt, ihm von den schwingenden Hügeln erzählt, von den Seen, über denen die Kolibris stehen und deren Flügelschläge das menschliche Auge nicht sehen kann.

Ich bin mir sicher, irgendwo da unten geht ein Mann, der auf zauberhafte Weise klingeln und die Dinge in der Wohnung mit mir reden machen kann, so dass dann diese steife Stille, die hier mit mir auf der Couch sitzt, ihre Containance verliert und aufspringt, so laut singt, dass meine Klingel noch mal Lust bekommt und einstimmt. Dass die Stille und die Klingel dann zusammen einen sonnenhellen Ton erzeugen, der so nobel ist, dass sich die Wände ehrfürchtig verbeugen. Ich denke an ein Klingeln wie ein erstes Sommerlicht, das nicht nur Winternebel, sondern auch die Frühlingswolken bricht.

Dass ich nur auf dem Weg durchs Haus nicht falle, wenn es so weit ist, dass dieses Klingeln nicht mein Todesurteil oder eine neue Art der Tigerfalle ist, dass, wer da unten wartet, nicht ein Zirkusdompteur ist, der meine Sehnsucht mit der Peitsche niederdrischt und, was in meinen Räumen ist zu Reifen formt, in Brand steckt, mich mit jedem Knall und jedem Winken auf ein neues zwingt, hindurchzuspringen. Was, wenn dieses Klingeln eine himmlische Sirene ist, die nur aus Langeweile heult und lockt, weil sie so ganz allein auf ihrem grossen Felsen hockt? Wenn dieser Fels aus Wüstenstaub gebaut und ihre zarte Haut nur fernes Hitzeflirren ist, das in der Nacht zunächst vergraut, schliesslich erschwarzt und dann erlischt? Wenn, wer da klingelt, nur der Schatten eines Mannes ist, das Klingeln eine herrenlose List, die ohne Zielort irrt und ohne Körper ist...

Es kann jetzt nicht mehr lange dauern, bis der Schreck des Klingelns trifft, sich eine seiner Kugeln schmatzend in mich wirft. In mich, die ich noch immer mit der Stille auf der Couch im Zimmer sitze. In mich, die ich noch immer darauf warte, dass ebendiese Stille zu mir spricht. Damit kein nächstes Klingeln, keine Welt mit ihren schrillen Zwängen je mehr nötig ist.