lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik
2019
 
Hussam Naggar
 
Berlin, den 18.07.2019
Des Öfteren Intensitäten ohne Grund
 

"... eine weiche Organisation von heterogenen, materiellen und körperlichen Fragmenten, die gemäß einem merkwürdigen Ideal des Kaputten zusammen funktionieren:..."
(Zitat aus "Das Unbewusste der Maschinen", Henning Schmidgen, 1997)
"Annahme auch ohne Terminvereinbarung"
(Zitat an der Außenverglasung eines Barbershops, Berlin-Wedding, Gerichtstraße)
 

Gestern Nacht, gegen drei Uhr noch Lust auf etwas Süßes - hin zum Späti. Ein circa 25 jähriger Pummeliger steht auch vor verschlossener Tür, schaut durch die Frontverglasung, Lautliches nehme ich war, schräge Kopfwendung zu mir. Ich: "Höm..." und begreife aus der Situation, dass der Betreiber kurz im hinteren Ladenbereich etwas zu erledigen hat, vielleicht Kacken, oder Pfandflaschen einsortieren. Er erscheint, öffnet uns die Tür, lässt eintreten. Hinkende Äußerungen bahnen sich an, was sollte ich sagen oder hier schreiben?, und frage irgendwie als gegen eine verschwiegene Bestimmung Verstoßendes: "Geöffnet?...", obwohl es offensichtlich ist und nehme es für mich auch gleich zurück, weil bereits Revierkämpfe akustischer Natur von früher in der Luft lagen, was sagen will, dass die Kaufaktion stumm und funktional von statten zu gehen hat. Menschen ekeln sich vor einander - im Wedding wird es nicht verhehlt und tritt offen zutage. Flackernde Unsicherheit auf beiden Seiten - Spekulationen. Ich zahle meine zwei Riegel "wunderbar" von Cadbury und setze mich auf einen der Stühle im zur Straßenebene erhöhten Außenbereich - eine merkwürdige Terrasse. Ich knabbere am Süßen. Der Knubbelige war verschwunden. Nach circa einer Minute kommt der Verkäufer und setzt sich auch auf einen der weißen Plastikstühle, zündet sich eine Zigarette an, Rauch bläht fast unmittelbar auch meine Nüstern, man inhaliert - angenehme Geruchserinnerung aus Raucherzeit. Menschen widern einander penetrant an. Jetzt denke ich an den Abschlussfilm von David Lynch, Eraserhead, und mag mich selbst als Ausgeburt einer Deformation - Schleim vermischt mit Karamell im Rachen.
Einige Tage früher: Besuch der Sprechstunde von Frau Dr. med. D. am Montagvormittag den 15.07.2019: Inspektion meiner Zähne, die vielfach erodiert sind. Dr. D. stellt zwei Kronen für rechts unten in Aussicht. Ich soll es mir überlegen. Es folgt eine Zahnhalsfüllung links unten. Zwischenspalt aufgegabelt und instandgesetzt. Ich schweife während dessen ab, denke mir meinen Teil, der aufwändig verwebt wird und als Platzhalter in Erfüllung der Verstandespflicht - auch aus dem Zusammenhang gerissen und mit Unkenntlichmachung von Bezügen vor Ort - sich mir zeigt. Verquere Anstalten, Schmerz hebt das Geschehen hervor und macht es glaubwürdig, ungelenke Glieder und verdrehte Versuche bei weit aufgerissenem Mund. Beide Parteien bemühen sich. Den Bohrer in die Halterung abgelegt - vom Tatort entfernt. Mundspülung. Blutschlieren im Strudel. Verlagert im Liegesitz; ich bin ledig. Kontextverschiebung in Anbetracht einer sich zeitigenden Korrespondenz. Ihr linker Busen weich an meiner rechten Wange spüre ich angenehm, reflektiere und wäge ab, ob Absicht im Spiel usw., bis ich nicht mehr darüber nachdenke und es als medizinisches Inventar hinnehme. Metasprache tritt dissonant hervor. Stichhaltig hat sich ein Machtkampf in dieser Praxis bereits früher ereignet, aufgrund mehrerer Verspielungen um Vorherrschaft - getriggert vom Drang zum Unbedingten. Wenn Du Dich selbst als Materie begreifst und konsequent täglich Sport treibst kommst Du schon gut durchs Leben. Laute unter Kontrolle. Spontansprung verschafft Geltung. Unvorhersehbare Ungezogenheit darf ich mir nur denken. Aus der Reihe tanzend. Zerstreut fällt mir beim Schreiben dieses Textes ein, dass ich am Tag nach dem Zahnarztbesuch meine kürzlich gekauften Multifunktionsschuhe von "Salomon" bei Karstadt am Leopoldplatz umgetauscht habe, die Lasche des rechten Schuhs drückte auf meinen Fußrücken. Ein herbeigerufener Vorgesetzter wickelte verbal flott und kaufmännisch professionell den Umtausch ab. Hier denke ich mir auch meinen Teil und stelle mir vor, dass seine Kollegen so allerlei über diesen Weichensteller in gehobener Stellung munkeln und ranzige Butter seiner Erfolgsstrategie unterlegen, dass er Zuhause nach dem Erwachen vorbeugend einen Schuh vor die Tür stellt, einen Schlussstrich zieht, und repetitiv in sich gekehrt äußert: "Diesen Schuh ziehe ich mir heute nicht an!" Wer weiß, womöglich leidet er an Bruxismus (ein unbewusstes, meist nächtliches Knirschen, Pressen und Mahlen mit den Zähnen). "Zeigt her Eure Füße, zeigt her Eure Schuh, und sehet den fleißigen Waschfrauen zu. Sie waschen, sie waschen, sie (...)." Kann man das alles so schreiben, oder gehört das nicht in ein unter Verschluss gehaltenes Tagebuch, wie der erste Kuss, oder der letzte Bruch? Kontextknick, Ströme. Heulsuse, Zitrone. In seinem Revier hat man immer Recht zu haben (will heißen, den Schnitt setzen) - anders ist sich ein Aktionsraum mit angeschlossenen Betriebsspielplatz nicht zu denken. Akustisch intakt gehalten, Apriori anerkannt - oder ignoriert, was sich auch mit der Absicht deckt. Bitte Drehen und Wenden, und dabei belassen. Grundlose Ausmaße des Öfteren.

Sich jemandes Impertinenzen zu verbitten ist sinnlos, weil man derart gerade auf Grund liefe und unter anderem textlich verknäult unauffindbar, von wegen vermisst wird. Als Unbekannter werden dir vielleicht Auslassungspunkte zugestanden; manche missverstehen es als Trostpreis und lächeln dankbar in die Luft. Ärzte machen sich untereinander Vernichtung schmackhaft. Kollegiale Abgrenzungen. Umwege und Winkel entwerfen einen Standpunkt, der sich aus sicherer Distanz für sich abdichtet. Stelzen zur Bodenhaftung. Unbewusstes, meist nächtliches Knirschen, Pressen und Mahlen mit den Zähnen führt zu Zahnhartsubstanzverlust. Einem seine Zerstörung im gedanklichen Serientod selbst vervollständigen lassen. Im Stockholm Syndrom verfangen - denke gerne an meine Zahnärztin und bin ihr nervlich sehr nahe. Trockeneis - unmittelbar Zungenbrand. Strategien der Vermeidung gegenseitigen Einschlusses können behände in Betracht gezogen werden. Absätze und Anstand. Therapeutische Pufferung, Elastizität von Systemen: "Wie geht es uns?" Ein gegenseitiger Vorsprung kann man sich gewähren, was auch als respektvoller Umgang im Sprachumlauf seine Runden dreht. Trotz schicklichem Benehmen ruft sich mir nichts, dir nichts ein Gemengelage von selbst ins Gedächtnis. Zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegendes Zusammentreffen von sonst eher unzusammenhängenden Zuständen und Gegebenheiten. Zellen scheren aus. Metastasen. Reviere erhalten. Sich in die Geiselnehmerin Frau Dr. med. D. verlieben - ein symbiotischer Lösungsansatz. Schwächen im Gegenüber brüten lassen. Sich beim Umblättern die Finger lecken.
Aufrechterhaltung einer Differenz nur möglich, wenn man sich kontextgerecht ins Gefüge einfindet. Zum Beispiel S., Nachname unbekannt: man unterstellte ihm, dass er am 7.7.2019 Trennspray fürs´ Backen und einen mintfarbigen Garn auf halber Strecke im Séparée des "Chagalls" hinterlassen hätte, und ohne weiteres verschwunden sei. Ja! wo kommen wir da hin? Nach Untersuchung der Zurücklassungen stellte sich heraus, dass die Strick- und Backgruppe aus Versehen genannte Dinge einige Stunden zuvor liegen ließ. Annahmen auch ohne Terminvereinbarung, Mutmaßungen ohne Bindung, Versuche einer Deckelung, Abperlendes vom Untergrund. Verstellungen unbemerkt. Zuletzt äußerte meine Zahnärztin, ich solle es mir überlegen. Es steht viel aufn´ Spiel! Ob ich ein Los kaufe oder nicht, bei den Live-Ziehungen der Glückszahlen trifft mich jeder Fall persönlich. Objet trouvé am laufenden Band. Dein Zufall ist nicht mein Zufall.* Elegante Kuratorinnen halten ihre gehemmt-spontanen Zuckungen für authentische Notizen, Selbstfindungen im öffentlichen Raum - ohne Unterlass vegetativ ins Mark. Meine symbolisch sensible Zahnärztin in Dauerbereitschaft darf auch mal die Schnauze voll haben; eine Gesellschaftsordnung verschafft sich im Einzelnen derart Resonanz. Im Blick: Markierung mit zuckender Augenbraue. Aufrechterhaltung einer Anstiftung - Fortsetzung folgt, Struktur vorarchiviert. Frontwechsel: Die verlässlich verdächtig kaputtigen weißen Plastikstühle für weniger als Geld, Schokosplitter zwischen den Zähnen. Grauweiß aufsteigende Rauchschlieren umrahmen die Luft vorm Späti zu einem Zeitpunkt, wo ich keine Uhr brauche.
Für beide Parteien stellt ein Serientod eine frohe Botschaft dar. Bei Wiederholung sind nicht mehr alle Tassen im Schrank. Begriffsmaßnahmen beweisen hartnäckig. Reihenuntersuchung. Mit den Zähnen knirschen. Reflexionsvollzüge in formaler Betrachtung. Undenkbares vermehrt ins Kalkül ziehen. Kreischen. Hinrichtung (für den verkehrstechnischen Begriff siehe Einzelfahrkarte). Knirschen.
Meldungen im Einzelnen: Am Montag, den 24.06.2019 um 12:30 Uhr ließ ich von einer Arzthelferin der Praxis Dr. med. D. eine professionelle Zahnreinigung vornehmen. Ich schenkte ihr für die viele Arbeit, die sie sich machte einen Fruchtsaft von Innocent, eine sogenannte "New Edition" mit einer Note Melone und Limette. Heute gegen 14 Uhr habe ich den Sozialarbeiter V. aufgesucht und erzählte ihm zu Anfangs unseres Gesprächs Abweichendes: ich hätte eben das Buch "Die Stunde der wahren Empfindung" von Peter Handke zu Ende gelesen. Aus dem Zusammenhang Gerissenes und in eine andere soziale Realität Eingefügtes muss seine Bedeutungstauglichkeit erst unter Beweis stellen. V. war es nicht möglich, dieses aus der Luft gegriffene Fragment als solches zu akzeptieren. Ein Fremdkörper in seinem Zeichen-Revier. Ein Unzeichen.** Determiniert auf Milieu-Kohärenz fragte er nach, ja musste er angestachelt von seinem Selbstverständnis nachfragen, was es Verbindendes zum gegenwärtig zu Besprechenden gebe. Es ist 18 Uhr und 27 Minuten, meine vor circa zwei Stunden entrollten und angebrachten vier Fliegenfänger "Nexa Lotte" mit der Öko-Test-Bewertung sehr gut haben bereits 17 Fliegen angelockt und gefangen. Genugtuung über das fixierte Surren. Fasziniert beobachte ich die frustran zappelnden Insekten auf dem klebrigen Film. In den nächsten Tagen soll es heiß werden, ich erwarte eine Zunahme an sinnlos herumschwirrenden Fliegen. Agonie liegt in der Luft. "Zeigt her Eure Füße, zeigt her Eure Schuh."

 
*) Marcel Duchamps
**) Dieter Roth
 
 
Gelesen im lauter niemand literaturlabor 2015
 
Im Wartezimmer
 
Eine stille Erwartung auf Auslassungspunkte, abweichende Gedanken über die Sommersprossen eines vermeintlichen Zwillingsbruders und eine vage Bedeutung von..., der Einkaufkorb von dieser Frau heute Morgen am Parkplatz des Supermarkts fiel zu Boden und die Orangen kullerten ihr nur so vor und von den Augen. Tränen sind undenkbar und wenn sie mal kullern, dann als Auslassungspunkte. Der Lautsprecher kündet einen Namen und meint eine Person, die deutsch aufsteht; das geht mich nichts an. Als erwüchse Größe nebenbei, vielleicht beim tuschieren einer nächstgelegenen Zeitschrift und als sei Demut ein Reflex, der nur abwiegelt.
Der Warteraum ist ein physikalisch begriffener Raum, der mit einem dicken Gefühl ausgefüllt wird. Blickflucht bietet die vielbunte Spielecke. Als wäre nur mein Gedankenstrich unsichtbar und die anderen Individuen zuckten nach planlosen Impulsen und sinnierten über eine eventuell nicht ausgeschaltete Herdplatte. Aufkommende Gefühle werden bei Inbetrachtnahme schwül-wolliger. Man weiß nicht wohin. Über diesem Übergangszimmer könnte ein Laufsteg aus Schaumstoff angelegt sein, keinem der Wartenden würde es auffallen - und die Models flüsterten hübsch. Ich glaube, dass ich hier auf einer Zeitebene sitze, dieser Stuhl trägt mich weiter bis ich eben dran bin. Und in einem Fahrstuhl treten Veränderungen der Vertikale ein. Die einfachen Gemeinsamkeiten der Physiognomien stechen heraus: Mund, Nase, Ohren und Augen.
Ich ahne, dass ich im Wartezimmer langsam verstehe was einen Rahmen ausmacht: eine Aussparung, die erst den Unterschied zur Geltung bringt; hier kommt man auf Ideen (?). Ich sitze auf der Kante eines Zeitrahmens. Etwas, was überall passt ist ein Passepartout, was auch eine Dauerkarte oder ein Generalschlüssel sein kann.
Im Wartezimmer gibt es zwar keine Jahreszeiten aber trotzdem warten manche auf Grün und das es irgendwie losgeht. Aus dem Lautsprecher ertönt "April-April"; Gedankensprünge werden erst hier richtig wahrgenommen. Mir fällt der Filmtitel "Fahrstuhl zum Schafott" ein; das es hier für manche um ihr Leben geht fällt nicht ins Gewicht. Die Umstandsformen der Wartenden sind auf einen minimalen Raum begrenzt, das wird für selbstverständlich erachtet und nicht hinterfragt; aber ich bezweifle hier den grundsätzlichen Umstand der verrinnenden Zeit; das darf ich aber nicht laut sagen, sonst bekäme ich Schwierigkeiten. Da hier scheinbar nichts passiert, meint man, dass das der richtige Ort für sogenannte Kunst sei; man will den Augen Zerstreuungen bieten, eine gewisse Ablenkung von der Faktizität. Ein Wartezimmer hat atmosphärische Ähnlichkeiten mit dem Lesesaal einer Bibliothek, aber hier komme ichauf Einfälle ohne Grund, Einfälle, die nicht einmal in eine Zeitlichkeit gebettet sind. Auf einer sommerlichen Wiese eine unendlich lange Wäscheleine, auf der ein weißes Bettlaken dem anderen folgt. Den Wartenden fällt nicht auf, dass ich gar nicht warte, sondern einfach nur sitze und meinen Einfällen Gesellschaft leiste. Ich glaube, ich bleibe noch eine Weile bis ein Lüftchen meinen Sandkuchen aus dem Zeitfenster weht.
Der Stille ein Bild. Ein Bild der Stille.
 
 
Vorort
 
Rosinen im Kopf als Vorwort.
Im Vorort darf ich absichtlich Worte und Buchstaben verlieren, niemanden würde es einfallen sie mir nachzutragen. Entlegene Vorstellungen bleiben peripher - man will sich nicht befinden und spielt mit Analogiezauber. Einfälle nehme ich beim Wort und schreibe auf einen Zettel: "Gekrönte Anarchie", stecke die Botschaft und ein paar Rosinen in eine leere Weinflasche, verschließe diese und vergrabe sie im Sandkasten des nahegelegenen Spielplatzes. Abwege sind kursiv auf dem Kopf begehbar. In Vororten rollt man schräg, so kürzt man ab, und ab und zu stellt sich eine Eieruhr auf Umwege ein und erprobt die Wiederholung; dabei bin ich fünf Minuten ein abfärbendes Adjektiv, das nichts versteht - irgendwie am Rande eines Geschehens. Von ungefähr verwegen weist auf eine verschwiegene Himmelsrichtung und wird von einer hauchdünnen Gefühlslage getragen. Der Unterschlupf ist ein durchsichtiger Prozess, er deutet von sich weg und stielt sich davon.
Im Vorort befindet sich die Wolkenakademie, die Dozenten sind in der Zwischenetage, in Mikrozellen werden singuläre Wolkenschablonen ersonnen - Lockenlist. Die Frisur meiner Einbildungen will nicht so recht ins Bild passen, sie stellt sich auf Erfahrungsosmose ein. Verfehlungen von Strähnen als Aussichten für gerade und lang gehegte Gefühle kommen erst weit weg vom Schuss zur Geltung, ihre Elastik versetzt sie in morgendliche Stimmungen, die zur Verabschiedung des Schlafanzugs im Themsestrom führen - mit-unter verschwommen.
Blatt für Blatt wird der Herbst dokumentiert.
Einbrüche in Blumenläden werden nicht geahndet.
 
 
Schuhhörer
 
Horche an Schleifen, dem Flüstern von Schmetterlingen in einer Luftschachtel, höre einrascheln; Kapriolen, aus dem Rahmen fallende Umgangsformen, von losgelösten und ziellosen Schritten. Ein Zuhause für Fußfinger, ein Zuhause für mein Körperende, der nachdrücklichen Ferse und von ungefähr ist ein Kichern zu hören: Echo der kitzligen Kuppel - Fuß gebettet in Wortkulisse, kündet von Luftsprüngen, abgelaufenen Sohlen, von Nasskaltem und angegrautem Schneematsch. Komfort trotz Widrigkeiten und zumal ein betretenes Schweigen. Wenn nichts mehr geht bleiben auch meine Schuhe stehen. Ängstlich wage ich keinen Fuß vor dem anderen, in Stockung erstarren meine Beine zu Holz - Stelzen. Schuhe erinnern mich an einen Fortgang, auch wenn ich zumal nur krabbeln kann. Schuhe sind ein Fortsetzung-folgt. Im Dunkeln neben anderen geparkt flüstern sie sich "Gute Nacht" zu, geben sich Lederküsse und lassen meine Füße von Muscheln oder verwaisten Schneckenhäusern träumen.
Am Morgen, eine Überraschung: Aus heiterem Himmel band der rechte Schuh seinen Senkel an den Linken; ich protestiere und sage, dass das nicht gang und gäbe sei, irgendwie aus der Luft gegriffen und stelle beide Schuhe unter einen Stuhl. Der Stuhl läuft nach der Versetzung fort, lässt mich mit meinen verschachtelten Prädikaten links liegen; unruhig wippe ich von einem auf das andere Bein, der neue Schuhverbund braucht meine Füße nicht mehr und macht mich über die neue Ereignisbeflaggung unsicher; ich reibe meine nackten Füße aneinander und habe keinen Standpunkt mehr inne. Der linke Schuh streckt mir seine Zunge heraus und dem rechten Schuh verrutscht die Maßeinlage. Schnell verstehen sie es auf eigenen Füßen zu stehen und mir nichts, dir nichts spielen sie neue Schrittfolgen ein; ohne Füße können sie auch parallel verkehrt stehen, oder passgenau ihre Sohlen Wange an Wange legen.
Bedacht auf ihr symmetrisches Zugeneigtsein feiern sie ihre Freiheit in tänzelnder Zügellosigkeit. Gemeinsam geben sie sich halt in ihrer Haltlosigkeit, treten beim Pogo auf Springerstiefel, nippen mit ihren Spitzen an bunten Cocktails, betanzen Stöckelschuhe und legen eine kesse Sohle aufs Parkett.
Nachdem meine Schuhe mich verlassen haben, bemerke ich, dass es auch ohne sie geht.
 
 
Zweifel ist schön
 
Ein wenig verloren und etwas hilflos, getragen von einem Suchen, mit einer Glaubensader unterlegt, die ahnungsvoll streben lässt, empfinde ich sie zweifelndunglaublich schön: Meine Tochter Jale, wenn sie sich sprachlich nestelnd vortastet - Denken als Sinnesqualität. In ihrem abwägenden Streben erkenne ich mich in Dimension und Perspektive verschoben wieder, ich schwinge in ähnlich zweifelnden Amplituden. Zusehends halte ich mich im Wahrscheinlichen auf und pflege eine verbliebene Dynamik als Kippbewegung. Von ungefähr offeriert mir Jale den Glanz einer Frage: "Kann man Schmelzen hören?" Dabei wird mir warm ums Herz.
Ein von Geburt aus Gehörloser wittert das Klangbild von gleich und wenn eine Schneeflocke auf seine Nase fällt, spürt er den Schmelzpunkt zischen.