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Maik Lippert
 
 
gedicht zur poetik 2008
 
 
viertelmond
 
gehörnt

hängt dein haupt

in der eisluft

harrt

auf wiedergeburt

im rauchglas

des himmels

überm gewerbegebiet

hier wo es an hunden fehlt

& schamanen

will ich dich wecken

mit salz in den händen

 
 
© im rauchglas des himmels überm gewerbegebiet. Gedichte, Edition Thaleia, St. Ingbert 2007
 
 
literaturlabor 30.04.2006
 
CLOSTRIDUM BOTULINUM
 
erstmals hörte ich wohl als achtklässler
von rästelhaftem
fischsterben im hochsommer
verbotener gülleeinleitung
aus schweinemastanlagen der nachbarorte
ich sah risse und vogelspuren
im fäulnisschlamm
um das austrockende auge
des stausees
in einer pfütze eine tote
karausche mit freigelegten
kiemen
ich lief den stangenweg heimwärts
mit diesem bild vor augen

vom anblick ausgerissener kiemen
erwache ich noch heute
höre dich neben mir im schlaf
zetern
auch du träumt noch immer
von der schule
von endlosprüfungen
ich weiß
und beruhige mich damit
dass wir uns um die augen
jahresringe wachsen lassen können
ohne botox-injektionen

 
 
 
wenn du den einschnitt suchst
mit dem messer
um den puls zu spüren
bist du längst ausgeblutet
zeig stolz die bleichen
fingerkuppen
wie gefrostete garnelen
in der kühlvitrine
erreicht dich nichts mehr
im kopf hörst du
eine orange welken
betrachte es nüchtern
wie zur blutprobe
die mathematik
der werte
du bist nur einer von tausend
die hoffen beim schreiben
auf defragmentierung
(in den kernstädten
der verdichtungsgebiete)
 
 
 
harndrang hatte ich
weil es regnete
weil ich um die schönheit wusste
der wc-becken im intercity
ertappte mich beim altern
beim gang zurück ins abteil
prostatagut
verhieß eine werbung
am fenster
krochen regentropfen
hirnströmen gleich
ich hörte mein handy ab
ruf zurück
mutters stimme aus der mailbox
ich spreche nicht gern
mit einem toten
ding
 
 
 
literaturlabor 27.03.2005
 
 
immerzu tauben
die an die scheiben schlagen
paarung und nestbau
lockt sie
öffne das fenster
nicht
liebes
ich schreie
vom fensterschacht im wc
hab ich 'nen tunnelblick
dabei wollte ich mit dir
heimisch werden
beim röhren
der druckwasserspülung
auf den dielen
unter rotem wachs
sehe ich hirnschnitte
es liegt nicht an dir
liebes
ich weiß uns
im alpina weiß
die konzentration
flüchtiger lösungsmittel
vergeht aber
was wird aus uns
 
 
(Berliner Dusche)
 
das wird mir fehlen
sagst du
das kabuff in der küche
die kalkgeflechte
zwischen aluminiumgestell
und kunststofftrennwänden
die essigessenz dagegen
wie du aus der dusche steigst
ich dich beim abtrocknen
mit kuchengabeln stechen
mit teelöffel deine eichel wiegen kann
du wirst mir fehlen
sagst du
 
 
(Kinderzimmer in K.)
 
ich bin zurückgekommen
ohne heimzukehren
zimmer sterbender
fliegen
gib endlich frieden
dem kreiseln der netzflügler
am fenstersims
und mir den schlaf
der mir fehlt
schon seit jahren
ist das bett mir zu kurz
lass uns abschied nehmen
wie erwachsene
 
 
lichtblicke ecke erkstraße
 
in der frühe zur staubfresserstunde
strande ich unter der markise
beim dürüm döner laden
licht hinter der scheibe
ein koch wienert edelstahl

in diesen tagen
ist der frost in der nase
mein bester begleiter
andere schnuren mit hunden
durch die straßen
wünschen einander festtage
ich wünsche mir frost
schaue hinauf
regen
lametta
an den balkonen
weihnachtsmänneratrappen

 
 
herbst war für mich immer
nur ein zurückgespultes frühjahr
als zögen die bäume
die blätter wieder ein
selten spürte ich etwas
erregung einhergehen
mit hämorrhoiden
nun lern ich herbst
riechen
da ich selbst zu riechen beginne
am straßenrand
in den blättern
der hallimasch der erinnerungen
vaters erzählungen
über bauchige myzelstränge
die nachts im gehölz leuchten