lauter niemand - bio - prosa - lyrik - poetik
(16.12.2002)
 
Daniel Falb
 
 
EIN PAAR KURZE BEHAUPTUNGEN DARÜBER WIE EIN GEDICHT SEIN SOLLTE
 
1 Lyrik ist natürlich zusammengesetzt, sowohl was die Herstellung als auch was die Rezeption angeht. Und wenn man versucht, poetologische Aussagen zum Gedicht zu machen, d.h. wenn man eine Art Theorie des guten Gedichts aufstellen will (darum geht es letztlich), hat man es sofort mit einer vor allem sozialen Gemengelage zu tun, in der man selbst agiert, was ja seinen Reiz hat. Diese kann Gegenstand z.B. soziologischer Beschreibung sein.

2 Das Gedicht eignet sich nun sicher nicht zur irgendwie systematischen Informationserhebung. Es greift auf Informationen zurück, forscht aber nicht: die analytischen Werkzeuge des Gedichts sind begrenzt. Auch die sprichwörtliche brennglasartige Zuspitzung bestimmter Sachverhalte im Gedicht ist keine Untersuchung, keine Diskussion, sondern eventuell witzig, banal und (vielleicht) weise, also aphoristisch. Was die Informationsübertragung angeht, gibt es sicher Varianten, gibt es ein ziemlich ausgreifendes Feld zwischen Projektion und Konstruktion; wobei die Extreme als solche wohl eher langweilen. Die Möglichkeit des Gedichts besteht also schlicht darin, mit der Aufmerksamkeit der Leserschaft (sofern vorhanden) für einen Moment hauszuhalten; es bleibt dabei immer Vorwort.

3 Ästhetische Aussagen gehen auf Befindlichkeiten zurück; deswegen ist alles am Gedicht Ästhetik. Das gilt fraglos für die Kriterien vermeintlich poetischer Gegenstände, für lyrisches Jargon und dergleichen. Es gilt aber eben auch für die Inhalte selbst; diese sind ebenfalls durch und durch Ästhetik; Sozialreportage im Gedicht ist Ästhetik, die sog. letzten Fragen sind Ästhetik. Und selbst noch die Absicht des Textes, sofern ersichtlich, ist gewissermaßen ein Stilmittel. Der Aufruf zu Revolution ist im Gedicht ein unter Umständen sehr klug gewähltes Motiv, kann etwas sehr Schönes sein.

4 Das Gedicht ist also Genußmittel. Und gerade weil es als Form so überfrachtet, ja fast monströs, jedenfalls aber eigentlich ungenießbar ist, wird die Lust zu genießen und (mit sehr großer Geste gesagt) im Absurden eine extreme Kennerschaft und Kultur auszubrüten, noch verstärkt. Dabei ist Lyrik nicht elitär, sondern einfach völlig partikular, wie eine abseitige Sportart, die allenfalls bei eurosport in den frühen Morgenstunden überhaupt gezeigt wird.

5 Klar und trotzdem bezeichnend, dass das Gedicht gleichzeitg produziert und dokumentarisch ist. Das Dokumentarische kann ja durch keine Reflektiertheit aufgehoben werden. D.h. das Gedicht hat eine völlig kunstlose Dimension. Kunst ist die Innenperspektive; das einfache Vorhandensein, das Materialsein ist eine Aussenperspektive. Lyrik kann als Lyrik gelesen werden, indem man sich nach innen begibt und das Kunstwollen nicht hintergeht; und ebenso als Dokument dieser Innenperspektive.
Ein schöner Gedanke: dass die kulturelle Anstrengung mit der Zeit irgendwie nach innen verschwindet und das Gedicht sich neben Bedienungsanleitungen für Haushaltsgeräte und Kriegsreportagen als Texthorizont gemeinsamen Datums aufschichtet.