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gedichte des preises für politische lyrik 2009 |
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vorwort lauter niemand redaktion |
Diese Seite bietet ihren Lesern eine der umfangreichsten und
interessantesten Sammlungen politischer Gegenwartslyrik. Veröffentlicht sind
hier die Gedichte von Autoren, die am lauter niemand preis für politische Lyrik
teilnahmen. Die Jury aus Ann Cotton, Bert Papenfuß und Björn Kuhligk wählten 3
Autoren als Preisträger, 7 Autoren in die engeren Auswahl und 38 Autoren als
beispielhaft in die weitere Auswahl. Bei allen Autoren haben wir uns bei den
Angaben auf den Wohnort und das Geburtsdatum beschränkt, sowie ggf. auf das
zuletzt herausgekommene Buch. Die Rechte an den Gedichten liegen bei den
Autoren oder ihren Verlagen, die dankenswerter Weise mit ihrer Teilnahme einer
Veröffentlichung zugestimmt haben. Die Wirkung einer politischen Aussage steigt
mir der Anzahl derer, die sie vernehmen können. Dies hier ist unser Beitrag
dafür. Ausgeschrieben wurde dieser Preis und organisatorisch sowie redaktionell
betreut vom lauter niemand e.V., die Preisgelder stiftete Jörn Sack.
Auffallend viele Autoren der Auswahl leben in den
Hauptstädten Berlin und Wien, doch geboren sind hier die wenigstens. Schicken
uns für die Zeitschrift „lauter niemand“ Autorinnen und Autoren mittlerweile
ziemlich ausgewogen ihre Texte ein, so stehen bei den Teilnehmern am Preis ca.
500 Männer nur 191 Frauen gegenüber. Die Frage, was dies geschlechtsbezogen
über den Willen zeigt, sich politisch zu äußern, bewegt auch Jinn Pogy in Ihrem
Kommentar zur Lesung zur Vergabe des Preises (s. „kommentare/ kritiken“).
Böswillig könnte man daraus schließen, dass Frauen in politischen Ämtern
bereits überrepräsentiert sein könnten. Dass Schröders Krawatte (s. Gedicht von
Lars- Arvid Brischke) zur Essenz der politischen Aussage werden kann, dass
könnte auch interessierte Minderheiten politikverdrossen werden lassen und sagt
vor den Politikern erst einmal etwas über die Wähler.
Geschrieben sind die hier versammelten Gedichte von
klassisch modern bis modern traditionell und gehen vom Gedicht in Mundart über
experimentelle Lyrik bis zum Ready Made. Dabei sind sie vom Auftritt
bodenständig bis metaphysisch und bildhaft direkt bis abstrakt analytisch. Aus
einigen spricht auch persönliche Betroffenheit, dies jedoch eher selten. Von
der Politik lassen sie eher weniger, von der Lyrik mehr erwarten und erhoffen.
Auch wenn sich Ann Cotton in ihrem Kommentar (s. „kommentare/ kritiken“) unter
anderem mehr Ecken und Kanten wünschen würde, so war ich als begleitender
Redakteur angenehm überrascht über die inhaltliche und formale Vielfalt der
Auswahl, die sie mit den beiden anderen Juroren zusammen getroffen hat.
Eigentlich fehlt ja dann doch fast nichts.
Nun habe ich als begleitender Redakteur auch nur die
ausgewählten Texte gelesen. Durch die inhaltliche Maßgabe „politischer Lyrik“
gewinnen viele Gedichte jedoch deutlich an Strahlkraft für mich. Hier
beanspruchen Dichter die Aufmerksamkeit einer Gemeinschaft mit einer bestimmten
Haltung und Meinung, die über eine ästhetische Position hinaus geht, nämlich
mit Themen, die diese direkt betreffen. Zu dem, wie sie es sagen und was sie
sagen gehört auch, dass es öffentlich gesagt wird. Politisch ist, Widersprüche
nicht nur zeigen, sondern sich dem Widerspruch auch zu stellen oder ihn sogar
heraus zu fordern. Dies erfordert zu Intelligenz, Wissen, Erfahrung und Können
am Ende auch Mut. Dass es sich um Lyrik handelt, sagt dabei nicht mehr, als
dass es sich um eine Äußerungen mit besonderer Ökonomie und auf höchstem
sprachlichen Niveau handelt: Man kann es in der Kürze nicht besser sagen. Dies
gilt für alle gute Lyrik. Politisch wäre es nun auch, dabei das Böse nicht nur
aus guten Gründen verhindern zu wollen, sondern sich aus eben so guten Gründen
etwas Gutes zu wünschen, also eine Vision. Nur mit den Visionen ist es wohl wie
mit dem Sex in der Literatur, ihre Beschreibung wirkt schnell komisch.
Die Auswahl scheint meine Vermutung im positiven Sinn zu
bestätigen, dass die Arbeit einer Jury für politische Lyrik in bestimmten
Grenzen ebenfalls politisch ist: Wer will schon Texte lesen, deren Haltung und
Sprache denen ähnelt, gegen die sie sich zu wehren behaupten und dabei
Ansprüche vortragen oder Leidensszenarien aufbauen, bei denen man die Gründe
nicht wirklich nachvollziehen kann? Nicht wenige der ausgewählten Gedichte
bewegen sich im Grenzbereich zum Politischen, nur sind bei vielen Autoren die
einzelnen Gedichte hierin unterschiedlich deutlich und wir wollten sie
möglichst umfassend vorstellen. Dass sie im Grenzbereich liegen, nahmen die
Juroren aber sicher nicht anders wahr, als wir Leser und im Umkehrschluss heißt
dies, dass wir alle einen ziemlich genauen Begriff davon haben, ab wann sich
jemand politisch äußert. Nicht jedes Gedicht ist am Ende also irgendwie auch
politisch, wie man es oft als These zu hören bekommt. Dies träfe nur bei einer
Perspektive auf die Welt zu, unter der auch die Geranie am Ende zum Tiger wird,
weil wir alle von den Einzellern abstammen.
Noch mal Dank an die Jury und alle Autoren, die mitgemacht
haben. Der lauter niemand preis für politische Lyrik wird auch in 2010 wieder
ausgeschrieben werden.
Viel Spaß beim Lesen wünscht,
Clemens Kuhnert
Für die Redaktion von lauter niemand
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Preisträger |
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HEL ToussainT |
Buch u.a.: „Trostlied für Nada“, Krash
Neue Edition im Stahl- Verlag, Köln 2004 |
(ZURÜCK) |
HEL ToussainT
Des menschen arbeit ist getan sei E-
diacara milbt des Theseus ruhekissen
Wir wissen alles wenn wir gar nichts wissen
Uns trifft er nicht der kopfstowasser E-
gis So verdoktern
wir klicklack das e-
lend blindfleckblind
das glück uns eh entrissen
nun gut ein reihenhaus in Algermissen
für reine reinrauszeit nicht für die e-
wigkeit Nicht
Brecht doch Watzlawick entprächtigt
bleibt uns das dichten wetterweiter südlich
Auch ist das ornunkshalber rückbezüglich
im übrigen im quantenwerk so üblich
Das zellgespiegel hat uns scheint’s ermächtigt
Die welt gerettet! wir wuwei-berechtigt
HEL ToussainT
DER
FIEDELRUSSE
Der russe sieht seinem großvater ähnlich
ein mädchennasiger hüne fähnrich
Die hand zieht den umriß von dessen konturen
die zunge formt worte auf dessen spuren
Er rettet die bücher die edelholzstühle
er rettet vor allem die alten gefühle
Er ist auf dem eismarsch durch fauchende steppen
hat stadthaus und
hauptstadt samt hausrat zu schleppen
Der fiedelrusse spielt ab seine phrasen
das band hat durch hunderte ohren geblasen
So geigt er sich aus dem schlamassel ins freie
der hohlwelt und preßt zu marienglas die schreie
Vertut euch nicht miete in Moskau zieht er
nur hier in Berlin vergeigt er die mieter
nüscht anständjet fressen und haschischesser
aber japanischen schleifstein fürs messer
Er riecht kommissare auf anderthalb meilen
Man braucht sich mit schulden nicht mehr zu beeilen
Auch liest er Nabokov Berlin ignoriert ihn!
ne falsche betonung melancholiert ihn
Die Rotsoldateska `t
Ewropa gefressen
sozialrevoluzzer dinieren indessen
ER hütet die vorkriegs (I!) schreibmaschine
sie sei es die einzig der wahrheit noch diene
O fiedelrusse du hungerschnitter
zu schwer ist der
umhang und wieder sinkt Piter
mit Fabergé-Ei mit heiligen lettern
und schiefäugig dankst du womöglichen rettern
In allen exilen gibt’s retrokraten
die nie dazu kamen die nie etwas taten
Der Zar nicht unten Kerenskij nicht oben
das wasser ist hungrig der wind frißt den koben
Exzentrik bedeutet in formen zu bleiben
der väter verlorene sach zu betreiben
Vielleicht erinnern sich derart verbannte
in gesten verhinderte Konstituante
Du bleib in der logik auch wenn du hinausgehst
Du trägst ja das habit weil’s sonst dich ins aus weht
Du sucher gefallen du heulender wolfshund
und hassest das fleisch doch liebst seele in goldgrund
Burschui wandern am spülsaum der zeiten
wie mäntel die
pferdeskelette reiten
wo westwind sie falsch singt die alten bylinen
auf krachenden schollen auf rostigen schienen
da trotten sie Kolja ist einer von ihnen
HEL ToussainT
In einem land vor gewerkschaft und lohn
einem land mit
eisenarmierung
in so einer zone Pedro erlebt
der mensch seine
wiedervertierung
Da bist du kein einziger Pietro mehr
da karrt man dich
hin in partien
Du bist an den subunternehmer verkauft
und an das
gastland verliehen
Monatelang im container zu zwölf
du hörst nur auf deinen polier
In einer kassette liegt dein paß
und die
schuldverschreibung nach hier
Kommt geld bei deiner familie an?
wo willst du hin
ohne paß?
was steht da wenn’s fertig ist? dümmer als wind
ein weiterer
hohlraum ist das
Einmal im monat kommt Lou mit dem stall
Hast du schon
pause Piet?
ziehn ab ob du dran warst oder nicht
Was da das mädchen
von sieht
Du denkst du kommst nie mehr nach hause Pierre
und nie mehr aus
schulden zu lohn
und nachts schreckst du auf schreist containerblech an
im alptraum von
nassem beton
Und ist er fertiggegossen der bau
seht ihr die
rostroten strähnen?
nach wenigen regen schon wie ein fluch:
das sind Pjotrs
tränen
Kräne mischer gebläse beton
gestalten
abdammgewölle
Das ist Europas glaskabelwelt
vor unseren augen
die hölle
HEL ToussainT
HUTTENS
WIEDERGANG
„Die Annexion der DDR
ist der Anfang vom
Ende
des Friedens in
Europa“ Helmut Loeven
in DER METZGER
57/99
1 Du liegst
versetzt Europa
an
falschen küsten rum
Fern spielt die
seifenoper
Wir schalten
wieder um
Die NATO ist
ein hilfskonvoi
aha für
nichtmitglieder
Das war auch dem Irak nicht neu
fuhr Saddam in
die glieder
So macht man
mit dem Viertreich zins
Es war die
zeit des luftgewinns
mit
westgestreckten händen
Die DDR
verspekuliert
und gleich
nach neuem markt gegiert
Der bombenkrieg
soll enden!
Ihr handelt
wenn’s
...für
konkurrenz
McDonnell
Douglas gut ist
Fleht
Kurdistan
die UNO an
da fragt ihr wo
das blut ist
2 Die bilder
saufen leere
Die sonne
säuft den sand
Wie’n
wachtdienst gehn die heere
im
kameraverband
Man spalte
eine region
sie wird sich
selbst zur beute
So stand es
um Nordirland schon
so steht’s mit
Bosnien heute
So steht es
um das Kosovo
um Pakistan
Golan steht’s so
zerschnitten
von den mächten
Auf
konferenzen tat man’s kaum
war’s
British Empire aUS der traum
per Federstrich
entrechten
Hieß auch
ein man
Kofi Annan
er könnt es
doch nicht ändern
Imperialis-
mus bleibt
der ist-
stand über schwachen ländern
3 Die flüchtlinge
die frauen
die ihr inn
bildschirm zieht
und ihre augen
schauen
wie ein
versuchsgebiet
Was sprecht
ihr von Milosevic
den habt ihr
abgerichtet
Hört auf mit
dem tyrannenkitsch
Auch
schurkentum verpflichtet
Milosevic
dem traut ihr nicht
und ihn
ermorden wollt ihr nicht
und wollt ihn
zwangsverhandeln
Wenn er sich beugte dem diktat
ihr wisst
das wäre hochverrat
Und Blut fließt
aus den kandeln
Warum nur
wagt
man nicht
und klagt
Schröfischer an
als –brecher
Den Haag!
Den Haag!
das Recht
liegt brach!
der mafia zinst
der schächer
4 Ihr
ostkanalarbeiter
Ach deutsche
SPD
du
aluminiumleiter
zu Noskes
portepee!
Und sprechen
wir vom Balkanriff
Der zuwachs
kommt zu teuer
Europa habt
ihr nicht im griff
Der osten wird
nicht euer
Und sprechen
wir auch mal vom geld
Man kriegt
so viel wie’s Amselfeld
bei Sotheby’s
zu kaufen
Dann
Marshallplan und rückbau und
an allen
börsen geht es rund
die wirtschaft
kommt ins laufen
Ich bin weiß
dachs
kein ökopax
Der flüchtling
richt die waage
Doch kosovar
bleibt
stets barbar
und stört die
morgenlage
5 Was soll
Zipflasien werden
ein
schieberbörsensaal
ein park für
bankerherden
ein
minenarsenal?
Serbien lebt
in seinem wahn
Albanien wahnt
auf raten
Des Vierten
Reiches bagdadbahn
Ist eine bahn
von daten
Denn worum
geht’s? um strategie
Herr Fischer
da Frau Albright hie
um
sollbruchzonen! Rußland
ist’s mit im
boot? ersäuft es fast?
bringt’s den
Profit? ist’s kranke last
ein veteran mit
schußbrand?
Die erde
bebt,
Es brennt
was lebt
Es ist ein tal
der fragen
Wir wissen
nichts
vom stoff
des lichts
Wir sind in
nacht geschlagen |
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René Hamann / Berlin /
*1971 |
Letztes
Buch:Berge und Täler, davor Männer und Frauen / Gedichte / Gutleut Verlag Frankfurt/M. 2009 |
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René Hamann
Wir
sind doch kein Jurassic Park
Einblicke in den Neonstraßen
Aufbrüche im Einkaufsparadies
eine Jugend ohne Fernseher, Welt
ohne Untersicht, ich habe dich
in der U-Bahn gesehen, tagelang
gab es kein Licht. Ich suchte
die Bomben, ich fand sie nicht.
Auf der Straße kauerte das Korps
der Rache, Atemflausch und Barbi
turate, als sie das Café Storch
betrat, eine Frau im gelben Hemd.
Sie öffnete den Mund in meine
Richtung, empfindsam und verstört.
Hochspannungskörper, nikotinsatte
Luft. Die Geheimnisnummer, das
Konkubinat, nichts stimmte, die Uhr
zeit nicht und nicht die Atmospur.
©
2009 Gutleut Verlag, Frankfurt/Main und Weimar
René Hamann
DIE
BESTE ZUKUNFT ALLER ZEITEN
durch totsichere isolate und abgebundene szenen
zieht die autobahn an den vorstädten vorbei
blechlawinen, böse brücken, glühende häute
lichtempfindlichkeiten auf raststätten, pausen
höfen, mutterschiffen, die kontaktdefizite
die nicht mehr auszugleichen sind, parkhäuser
und telefonzentralen, die krummen satelliten
städte, weltraumopern, wäschestangen, partykeller
die besorgten anrufe nach dem hellen lichtblitz.
der astronaut wischt die blutspuren auf
machtferne als leistung, armut als luxustherapie
SIEG DER STERNE, die zeitungen warten
auf die sammlung, das telefon im wohnzimmer
klingelt selten und wenn, ist es lästig, wie mittags
der gang vor die haustür, die briefkastenkontrolle
das klingelschild mit den fingerabdrücken, die
briefträgerhosen, bissspuren, schürfwunden, allein
der hund hat sich verlaufen, ganz wirr und wild
wie die modekranken, gewuppten kinder
die als sohnemann das kirchenblatt bringen
oder den rasen mähen, meist faulenzen sie
auf der sonnenschaukel und schäkern
mit den nachbarstöchtern, DEEP THROAT
oder feste bindung, der gerüttelte verkehr
auf den kunststoffböden, die nachgestellten
fotos: in der berufsschule der über den kopf
der lehrerin gezogene tisch, übermalt
die münder in den schrebergärten, die nach
gezeichneten gefühlskonstanten: visionen
einer verblassten autobahn, die verrutschten
verrauschten platten, der harte schlussakkord
die falschen mittel, aber die echten strümpfe
und statt einer antwort das klacken eines zippos.
wer geht mit wem, wozu kinder, wozu die welt
die paare im raumanzug, der sich über die haut
flecken schiebt, die zukunft in weißen rahmen
©
2009 Gutleut Verlag, Frankfurt/Main und Weimar
René Hamann
DAS
ENDE DER ARBEIT
milde, bekleckerte tage. eine verlorene schwester
eine vier-buchstaben-frau, die im wagen wartet.
am hafen die imbissbude, auch sie macht bald dicht
der parkplatz leert sich, die bögen sind gestempelt
es geht auf den abend zu. ein flackernder himmel
ein offen stehender mond. schwere, schwarze züge
vielleicht raben, die in die ferne ziehen. staub
der aus taschen rieselt, mitte august, der sommer
hat sich krank gemeldet, zwanzig grad. der gleichmut
der traktoristen, die zulieferfirmen der ölindustrie
der mangel an autan. ein junge aus plastik in einem zelt
aus lüge versucht für sich die apostolische nachfrage
zu klären: total oder texaco, die unerbittliche suche
nach dem entmüdungsbecken im stadion der weltjugend.
hedonistische tretmühle, berliner problemschule. niemand
ist allein, nicht für eine sekunde, auch andre erzählen
nicht alles, und über den dingen liegt der verdacht
handwerklicher schlamperei. die tore sind geöffnet
die bilder blieben an den schränken kleben, im spind
der jetzt auf dem busbahnhof steht, neben den fluchenden
die dumpf auf endlose möglichkeiten warten. ein
betagter, gähnender hund, ein mann, der einer rollstuhl
fahrerin ins ohr klagt: „es macht dich fertig” und weiter
geht zu den bettelnden punks: „ihr spielt nur eine rolle
ihr stellt auch bloß dar.” austausch von rezeptoren
antrainieren neuer subroutinen und abläufe. gefragt
werden ist besser als anbieten müssen, eine anzahl
von vermeidungen und schlick zwischen den zähnen
dreck auf den fässern. sie hatten augenduschen
bereit gestellt, für die fettgerüche, nasenpflaster
für die schwefelfälle, die verbrannten unterarme
waren weiter nicht schlimm, jetzt sind das verweste
wahrheiten, altlasten, an denen niemand mehr vorbei
defiliert. nur der onkel auf dem schreibtischstuhl
faselt noch von solidarität. die übertherapierten
auf der armenhochzeit winken ab, sie haben genug
gesehen: das ende der maschinen, sie laufen im kreis
alles nimmt ab, alles wird gefilmt. die städte fahren auf
und nieder, die polizei orientiert sich über das, was war:
simonie und nachschlagewerke, das ende der arbeit.
©
2009 Gutleut Verlag, Frankfurt/Main und Weimar
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Achim Wagner / Köln /
*1967 |
Letztes
Buch: „vor einer ankunft“, yedermann, 2006, Gedichte |
(ZURÜCK) |
Achim Wagner
in weimar kamen die züge an bevor sie nach
buchenwald weitergeleitet wurden...
(nach der broschüre „Gedenkstätte Buchenwald“)
kuh/-frasz
bilder einer landpartie
für ralf
werner
grün ringsum ein frisches jahrzehnt & schmieriges
glas + halbgeöffnete fenster im august ist der
morgendunst längst verzogen der zug erreicht
weimar 13uhr14 durch die straßen + gassen
wandeln staubschluckende komparsen fahle
gestalten von weit her & niemand holt die
grünstichigen dichter vom sockel stillgestanden!
(stundenlang bis zum kollabieren) um 15uhr25
pünktlich mit dem bus nach rudolstadt 40 kilometer
weiter vorbei an den waldüberzogenen hügeln den
galgenbäumen thüringens früher waren wir hier
33.000 einwohner jetzt sind wir noch 29.000
bekundet eine einheimische auf neugieriges fragen
der osten verfällt langsam in den seitenstraßen
bröckelnde fassaden eingeschlagene scheiben &
alte gesichter ohne ausdruck blicken auf die jungen
die das staunen noch nicht verlernen wollen in
diesem gebäude verteidigte dr. karl liebknecht am
15.3.1907 das recht der arbeiterklasse gegen die
kapitalistische klassenherrschaft berichtet eine
gedenktafel am gerichtsgebäude & gelangweilt
lehnen sich drei taxifahrer in ihren fahrzeugen zurück
an der haltestelle vor dem kleinen bahnhof in den
17uhr30 bus linie 21 steigen noch ein blonder mann
& eine braunhaarige frau beide um die dreißig
behindert + wenige & unverständliche worte
wechselnd werden sie gemeinsam 10 kilometer
später an der haltestelle im dorf kuhfraß den bus
wieder verlassen dazwischen für zwei stationen
steigt ein weiterer fahrgast zu graubärtig
in zerschlissenes schwarz gekleidet ein kaninchen in
einem gitterkäfig in der linken hand mein frühstück
brummt er ungefragt nur bestaunt ((dr. karl
liebknecht verteidigte am 15.3.1907 in diesem
gebäude dr. karl liebknecht in diesem dr. karl
liebknecht verteidigte dr. karl liebknecht 1907 das
recht der arbeiterklasse 1907 gegen dr. karl
liebknecht am 15.3. gegen die kapitalistische
klassenherrschaft 1907 gegen dr. karl liebknecht in
diesem gebäude)) in großkochberg leert sich der bus
bis auf den fahrer keiner mehr drin wenige schritte
zum landschloß sex and crime vor über 200 jahren
spreizte ihre beine + stöhnte & intrigierte hier im
sommer besitzerin charlotte von stein
Achim Wagner
der
insasse
beeile dich & komm rein hier hat’s platz für zwei
klang eine männliche stimme mit polnischem akzent
aus dem großen silbergrauen müllcontainer an den
ich mich gerade gelehnt hatte um eine zigarette zu
rauchen der deckel des containers wurde
zurückgeschoben ich blickte in ein mit bartstoppeln
übersätes vielleicht 50 jahre altes gesicht nun mach
schon
wurde der tonfall eindringlich & muszt du
gleich leise sein ganz ganz still etwas verdutzt aber
nichtsdestoweniger neugierig mühte ich mich in den
abfallbehälter schnell schob der polnische insasse
den deckel wieder zu ließ ihn nur einen spaltbreit
offen damit unsere augen die vor uns liegende
straße einsehen konnten wenige sekunden später
waren laute martialische rufe & gesänge von beiden
seiten der straße zu vernehmen aus den häusern
strömten zumeist völlig in weiß gekleidete mit
knüppeln stöcken baseballschlägern schwertern
dolchen bewaffnete menschen die sofort aufeinander
losgingen bald kullerten abgetrennte köpfe über den
asphalt blieben einzelne arme finger hände ohren
liegen & schnell auch die ersten toten der geruch
frischen bluts schoß mir übelkeiterregend in die nase
circa eine viertelstunde dauerte der kampf ((jeder
gegen jeden wie es schien zumindest konnte ich bei
diesem mörderspiel kein muster erkennen)) ich
mußte mehrmals die augen schließen & war ständig
nahe dran war zu speien das schrille
markerschütternde geheul einer sirene beendete
abrupt die schlacht & die überlebenden
verschwanden die verletzten mit sich schleifend
wieder in ihre häuser raus nuschelte mein
nebenmann gleich kommt die müllabfuhr & räumt
die reste weg dann brauchen die auch diesen container
wenn die uns hier drinnen erwischen gibt’s ne menge
ärger & schon stand der pole mit beiden beinen
auf
der straße er wartete nicht auf mich als ich mühsam
aus unserem versteck geklettert war & wieder
aufrechte haltung eingenommen hatte war er bereits
in eine gasse gebogen ich sah noch wie sich eine
kolonne orangefarbener städtischer fahrzeuge
näherte dann versuchte ich dem polen zu folgen
aber meine augen fanden ihn nicht wieder
Achim Wagner
nicht nixen nymphen
sylphen musen oder feen
für dich will ich die
motten verstehn
(einstürzende neubauten)
unterm
leuchtturm
riechst du wie die stadt modert wie die stadt verwest in
den bahnen in den ecken hinter den büschen... hier saust
der hammer der hammer gegen franz biberkopf...
splatter
haupt hirn haut splitter haupt stadt... juli hitze gewitter
regen gestern heute wo wir uns lieben in den nischen in
den verstecken wo wir uns keine namen geben wo wir aus
dem tag gehen & unsere erinnerungen lassen
((geschenke aus ihren verpackungen geschält unsere
körper))... ein kurzer dreckiger schwarzgrauer
staubsandsturm durch die warschauer straße
handgeschützte gesichter getriebene passanten
schuttstraße ostwärts gebeugte gebrochene äste
silhouetten auf der flucht aus den augen verloren über die
brücke wirbeln blätter füße flüche... beim berliner
leuchtturm am alex steigst du aus der unterwelt an meinen
mund & wir eilen für eine letzte nacht in ein grandhotel
wo
wir unsere alten kleider ausziehen auswaschen
auswringen ((wo wir uns versuchen ergeben eindringen &
ergießen))... ssssssst saust der wind... ssssssst saust
der hammer ((die schlag zeilen lesen wir später auf einer
fahrt
auf öffentlichen monitoren moabit mutter erschlägt kind
&
danach das wetter von morgen das wetter von
übermorgen))... westwärts weiter westwärts...
hütchenspieler am einstigen prachtboulevard
reisegruppen konsumtouristen eine herde ((pfälzert
wienert baiert schwyzt))... den rücken halten wir uns frei
von unseren blicken von unseren gedanken & seitwärts
treten wir durch eine tür durch eine kamera in ein
zweistundenland film ((farben fahnen schwerter pinsel
pfeile liebe tod & violinen))... ssssssst saust
der wind
ssssssst saust der hammer... unten am halensee treibt
ein
kadaver mit schuppen auf dem wasser... treibt ein
zweiter... treibt ein dritter... mit der ringbahn kreisen
wir
um die stadt wie gelassene entspannte motten die wissen
dass sie sich ihre flügel nicht mehr verbrennen können an
an der stadt an dieser überhitzten stadt die letzten
stunden hier zählen wir ab & blättern in reiseführern
für
aussiedler... ssssssst saust der wind ssssssst saust der
hammer ssssssst sausen wir weg...
Achim Wagner
die
zöllner
einen briefumschlag in der rechten hand ging paul
gedankenverloren richtung post halt befahl ihm eine
tiefe stimme plötzlich & paul stand vor einem
breitschultrigen vermummten mann in schwarzem
trenchcoat ab heute muss jeder der die strasse betritt
wegezoll bezahlen paul grinste guter scherz +
wollte
weiter der mann drosch ihm die rechte zur faust
geballte hand auf die lippen paul wankte &
schmeckte blut der mann hielt die hand auf wie viel
fragte der geschlagene ist egal paul wühlte in
seinen
taschen & drückte dem zöllner einige groschen in die
hand & der weg wurde freigegeben vermutlich ein
psychopath & wahrscheinlich hätte das alles noch
übler ausgehen können für seinen rückweg wählte
paul eine andere strasse & lief dem nächsten
trenchcoatzöllner in die hände dieser war wesentlich
schmächtiger als sein kollege aus der
sülzburgstrasse einen moment lang überlegte paul
ob er den typen einfach beiseite stossen & los laufen
sollte der schmächtige kerl zückte ein messer als ob
er gedanken lesen konnte & paul biss sich auf die
schmerzenden lippen zückte einen schein der
wortlos entgegen genommen wurde die zöllner
waren bald aus dem stadtbild nicht mehr weg zu
denken in den u- + s-+ strassenbahnen fand man sie
vor beinahe jede strasse beherbergte einen
vermummten mann in trenchcoat klaglos bezahlten
die städter einen meist geringen + beständigen
obulus ((stillschweigend hatte man sich auf zehn
pfennig pro begegnung mit einem zöllner geeinigt))
niemand beklagte sich oder hinterfragte die
anwesenheit der leute in den schwarzen trenchcoats
von der polizei blieben sie unbehelligt & das bewies
ausreichend die legitimation ihres tuns paul hatte im
tagesdurchschnitt 20 begegnungen mit den zöllnern
& auch er hatte sich widerstandslos mit der neuen
situation abgefunden bis ihm sein job gekündigt
wurde paul kaufte sich eine motorradfahrermaske &
einen schwarzen trenchcoat als er erstmals in dieser
montur auf die strasse ging trat ein zöllner auf ihn zu
nickte kurz & sagte die strassenbahnlinie 6 ist
unterbesetzt kassier dort ab paul nickte ebenfalls
kurz & knurrte alles klar |
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Engere Auswahl (alphabetisch) |
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Alexander Gumz / Berlin
/ *1974 |
(ZURÜCK) |
Alexander Gumz
ANS
UNGELESENE
nur lücken in der luft: beschüsse mit buchstaben. das
rattern
stämmiger maschinen. ein druckhaus steht im abendlicht:
verrat an upper class und vorstadtstraßen. nur wenige
umkämpfte blocks, hört man. geländer aus gelee.
die kredite nehmen uns bei der hand: nichts, meine herren,
spricht dann noch rückwärts mit uns. nichts wird am morgen
dementiert. wir lehnen am mikro, verschlucken versprechen,
die man uns auf dem hinflug gab. entziffern das
kleingedruckte
an der wand. hören den kursen beim fallen zu.
Alexander Gumz
MÖNCHISCHE
GEBÄRDEN
den kopf verschließen mit einem stückchen stoff.
drauf warten, dass jemand was zum verhalten
des gemeinen körpers sagt: krumm und
klebrig mit den jahren.
dass keiner mehr auf risiko spielt, ein paar stunden
ans morgengrauen verschenkt. an falsche ausfahrten,
enge kurven. an versuche, mit den zehen
das ende eines sees zu finden.
nein: die stille wird nie mehr so tapfer sein,
dass man dazu tanzen kann. auch mit dem schlafen
tun sich die synapsen schwer: eine drift
im mikroskopischen, heisst es.
hohe wahrscheinlichkeit, das wichtigste zu übersehen.
sich nur daran zu freuen, dass nichts einmaliges
gestohlen wurde. das zerreißen eines schecks
sich nicht mehr alle paar sekunden wiederholt.
Alexander Gumz
KÜHLE
ENTWICKLUNG
die mantelträger sehen bei dunkelheit ganz anders aus.
(wie beschissen, dass man so schief hingerichtet wurde.
dass man wirklich garnichts rückwärts kann. dass jeder
gewinn
bloß neue peinlichkeiten bringt.) im dünnen licht
bleibt kaum was an den fingern kleben. was man abends
in den taschen sammelt, klickt, wenn es allein ist,
als nähzeug vor sich hin. (tagesanbruch: überdreht,
beeindruckend,
aber ohne jede zuversicht.) auch die fensterscheiben frieren
(bekloppte interieurs). welchen geheimdiensten
soll man jetzt noch trauen? welche akten unterm tisch
verschwinden lassen? man kriegt ja nicht mal
was einem selbst gehört im rinnstein abgegeben.
Alexander Gumz
DIE
KUNST DES ARCHIVS
in russland stecken sie spione kopfüber in die erde.
international
werden die vergiftungen lauter. gesetze beginnen sich zu
drehen.
welcher essay kommt da hinterher? morgenlicht wird
hochgerechnet:
der beginn eines neuen verlusts. der pressesprecher formt
seinen mund
zur mulde, seilt seine sekretärin langsam in eine höhle ab.
das brechen
ihrer nackenwirbel ist hier oben kaum zu hören: baumelt in
kleinen kreisen
vorm ohr herum. in deutschland vergraben sie zur selben zeit
handfeuerwaffen. spalten schädel, stutzen lippen. damit
keiner mehr
im dunkeln pfeift. das ist die wahrheit, meine damen! wer
abends
in seinem anzug leuchtet, muss nicht auch gut nach hause
kommen.
Alexander
Gumz
freedom of speech
die ranken der feuerleitern: da träumst du von. wie wir
immer weiter an den rand der stadt gefahren werden.
ganze landstriche bleiben kahl zurück. übergänge sind
auf unseren karten nicht verzeichnet. die regenzeit bricht
an,
wir werden von unsichtbaren pranken in ein zugabteil
gehoben.
sieh zu wie du da
wieder rauskommst. knöpfe prasseln aufs dach.
die wartehallen dröhnen. wir reiben unsere zunge am gaumen,
versuchen, einmal im leben nach dem weg zu fragen.
was haben wir erwartet? dass die gleise blühen? |
|
Claudia Gabler / Lörrach
/ *1970 |
Letztes
Buch: „Die kleinen Raubtiere unter ihrem Pelz“, Rimbaud Verlag, Herbst
2008 |
(ZURÜCK) |
Claudia Gabler
Die Struktur war mal wieder schneller als wir.
Wenn die Kioske und Fleischereien zumachen,
ist das mehr als bloß Feierabend,
wenn wir nichts dazwischenwerfen,
ist das kein Urschrei.
Dann gibts Frisches nur noch vom Feld,
aber das ist mit Keimen und Schmerz versetzt.
Wir stellen die Brillen scharf,
wir erdolchen die Forellen und grillen die Hunde,
wir machen den Wald frei von wildem Getier,
das auf unsere Heidelbeeren uriniert.
Wir verlassen uns nicht, wir bedecken uns nicht,
wenn wir betrunken vom Sauerstoff
auf dem feuchten Moosboden ruhn.
Wir vermissen die Infrastruktur und unsere Nachrichten
und einzig die Post, die sich um Sendungen noch bemüht,
hinterläßt einen wasserresistenten Computer in Gelb.
Wir dürfen die Räume jetzt nicht schließen,
wir müssen die Wachposten zivilisieren,
wir müssen ein neues Haus bauen mit Fenstern,
durch die man nach draußen sieht.
Wir müssen es schaffen, daß auch die Lehrer wandern.
Aus:
„Die kleinen Raubtiere unter ihrem Pelz“, Rimbaud Verlag, Herbst 2008
Claudia Gabler
Die Endlosschleife des Fahrstuhls führte
direkt ins Internet. Während die angrenzenden Kulturen
öffentlich abgetragen wurden, applaudierten
Rezipienten erst gehorsam, später aus Trotz. Zur
Transparenz brauchte man also nicht mal eine
Kamera, die Zimmer waren auch so gut durchlüftet,
und wer hinauskam, wußte von seinen Beschädigungen.
Wir nahmen uns hoch, schlossen alle Zeitfenster
auf einmal, schleppten die technischen Geräte
in die Geschäfte zurück, überzogen die jetzt brach
liegenden Gebiete dann mit unseren kleinen Gelenken.
Die Wohlstandsregionen rebellierten ein bißchen
zum Schutz zählte jemand laut die massive Struktur
der Wolken, trat demonstrativ in ihren Kernschatten,
wollte die Landschaft bestücken damit.
Aus:
„Die kleinen Raubtiere unter ihrem Pelz“, Rimbaud Verlag, Herbst 2008
Claudia Gabler
Wenn Wohnungen nur Ware sind, liegen Territorien nah.
Wir hängten also Glühbirnen an die Wände,
die leer waren, und wollten so die Bedeutung unserer
Vitrinen
markieren. Wir suchten fremde Habseligkeiten
in unserer Umgebung dechiffrierte sich manchmal ein
Monitor.
Jemand imitierte das königliche Winken
und choreographierte gleichzeitig die Akustik von
Oralverkehr.
Wir wiesen auf die Subtexte dieser Bespielung, aber man
verwechselte uns mit einem anatomischen Modell.
Adjektive als Lösungsansätze, die Farbe unserer T-Shirts,
Gewinne durch Nahrungsverweigerung. Eine gut
ausgeleuchtete Kampfarena, die man mit viel Geld und doch
nicht verlassen konnte. Irgendetwas stimmte
mit unseren Geschlechtern und Haarschnitten. Der Markt
dokumentierte unsere Resistenzen. Wir kämpften
für unsere Güter, aber die Gelmasken erschwerten wie immer
die Grenzübertritte.
Aus:
„Die kleinen Raubtiere unter ihrem Pelz“, Rimbaud Verlag, Herbst 2008
|
|
Clemens Schittko/
Berlin / *1978 |
|
(ZURÜCK) |
07.05.2008 // Lieber
Literaturbetrieb,
I
Das
Gedicht will nicht abgelehnt werden.
Es
will – weiterhin – ablehnen.
II
Seitdem
ich das so genannte ALG
II beziehe,
fühle
ich mich wie ein freischaffender
Autor.
(Der
Staat ist auch nur ein Unternehmen.)
III
Was
du Wende nennst,
war
nichts als ein Wegwerfen von Büchern
(weit
weniger Exemplare
wurden
unter den Nazis verbrannt).
Die
verwaisten Stellen in den Regalen
sind
heute mit Aktenordnern besetzt.
IV
Der
Staat sind wir, wir alle.
Aber:
Ich bin mein Gedicht.
Dein
Schittko
Erstveröffentlichung in ENTWERTER/ODER. (Berlin). 95 (2009)
P.C.-Fuge in
deutsch-Moll
es
ist was es ist
sagt
es war was es war
sagt
es wird was
es
wird sowieso
es
ist was es ist sagt
was
gewesen ist
ist
gewesen sagt
was
sein wird
wird
sein sowieso
es
ist was es ist sagt
was
gewesen war
war
gewesen
und
sagt was
es
ist sowieso
sei
es was es sei
wäre
es was es wäre
werde
es was es werde
was
gewesen sei
sei
gewesen
was
sein würde
würde
sein
was
gewesen wäre
wäre
gewesen
es ist was
es ist
sagt es
eins und zwei
oder drei
Erstveröffentlichung in ENTWERTER/ODER. (Berlin). 95 (2009)
Clemens Schittko
Kleines
personenbezogenes Gedicht
(ohne lyrisches Ich)
Familienname/ggf. Geburtsname: Schittko
Vorname: Clemens
Geschlecht: männlich
Geburtsdatum: 09.12.1978
Geburtsort: Berlin
Geburtsland: DDR
Staatsangehörigkeit: deutsch
Straße: Krossener Straße
Hausnummer: 12
Postleitzahl: 10245
Wohnort: Berlin
Telefonnummer: 030/50180383
E-Mail-Adresse: clemensschittko@yahoo.de
Bankverbindung: ***
Familienstand: ledig
Erstveröffentlichung in ENTWERTER/ODER. (Berlin). 95 (2009)
Clemens Schittko
Vokabel-Vorschläge für die jüngere/n
und jüngste/n deutschsprachige/n
Lyrik/erInnen
„Jetzt
kann man schreiben, was man will.“
Oskar
Pastior
„Was
soll das?“
Florian Neuner
(...)
III
einen
Angriffskrieg vorbereiten / zum Angriffskrieg aufstacheln
den
Bund und ein anderes Land hoch-verraten / ein
hochverräterisches
Unternehmen vorbereiten
eine
für verfassungswidrig erklärte Partei fortführen / gegen ein
Vereinigungsverbot
verstoßen / Propagandamittel
verfassungswidriger
Organisationen verbreiten / Kennzeichen
verfassungswidriger
Organisationen verwenden / zu
Sabotagezwecken
als Agent tätig sein / eine verfassungsfeindliche
Sabotage
bewirken / auf Bundeswehr und öffentliche
Sicherheitsorgane
verfassungsfeindlich einwirken / den
Bundespräsidenten
sowie den Staat und seine Symbole
verunglimpfen
/ Verfassungsorgane verfassungsfeindlich
verunglimpfen
Landesverrat
begehen / Staatsgeheimnisse landesverräterisch
ausspähen,
auskundschaften und offenbaren / illegale Geheimnisse
(ggf.
in irriger Annahme) verraten / landesverräterisch und
geheimdienstlich
als Agent tätig sein / friedensgefährdende
Beziehungen
aufnehmen und unterhalten / landesverräterisch
Fälschung
betreiben
Organe
und Vertreter ausländischer Staaten angreifen und
beleidigen
/ Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten
verletzen
Verfassungsorgane
sowie den Bundespräsidenten und Mitglieder
eines
Verfassungsorgans nötigen / die Tätigkeit eines
Gesetzgebungsorgans
stören / Wahlen behindern und fälschen /
Wahlunterlagen
fälschen / das Wahlgeheimnis verletzen / Wähler
nötigen,
täuschen und bestechen
sich
durch Verstümmelung und Täuschung der Wehrpflicht entziehen
/
Störpropaganda gegen die Bundeswehr verbreiten /
Verteidigungsmittel
sabotieren / einen sicherheitsgefährdenden
Nachrichtendienst
betreiben / sicherheitsgefährdende Abbildungen
und
Beschreibungen anfertigen / jemanden für einen fremden
Wehrdienst
anwerben
öffentlich
zu Straftaten auffordern / Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte
und gegen Personen, die
Vollstreckungsbeamten
gleichstehen, leisten / Gefangene befreien /
als
Gefangener meutern
den Haus- und Landesfrieden (ggf. schwer) brechen / den
öffentlichen
Frieden durch Androhung von Straftaten stören /
bewaffnete
Gruppen sowie (ggf. im Ausland) kriminelle und
terroristische
Vereinigungen bilden / das Volk verhetzen / zu
Straftaten
anleiten / Gewalt darstellen / sich Ämter(n) anmaßen /
Titel,
Berufsbezeichnungen und Abzeichen missbrauchen / die
Verwahrung sowie Verstrickungen und Siegel brechen / amtliche
Bekanntmachungen
verletzen / geplante Straftaten nicht anzeigen /
Straftaten
belohnen und billigen / sich unerlaubt vom Unfallort
entfernen
/ Notrufe missbrauchen und Unfallverhütungs- und
Nothilfemittel
beeinträchtigen / gegen Weisungen während der
Führungsaufsicht
und gegen das Berufsverbot verstoßen / eine
Straftat
vortäuschen
Geld
und Wertzeichen fälschen / Falschgeld in Verkehr bringen / die
Fälschung
von Geld und Wertzeichen vorbereiten / Zahlungskarten,
Schecks
und Wechsel sowie Zahlungskarten mit Garantiefunktion
und
Vordrucke für Euroschecks fälschen
uneidlich
falsch aussagen / Meineid begehen / eine falsche
Versicherung
an Eides Statt abgeben / jemanden zu einer
Falschaussage
verleiten
jemanden
falsch verdächtigen
Bekenntnisse, Religionsgesellschaften und
Weltanschauungsvereinigungen beschimpfen / die
Religionsausübung, die Totenruhe und Bestattungsfeiern stören
jemandes
Personenstand fälschen / die Unterhalts-, Fürsorge- und
Erziehungspflicht
verletzen / eine Doppelehe mit jemandem
schließen
/ Beischlaf mit einem Verwandten vollziehen
Schutzbefohlene,
Gefangene, behördlich Verwahrte, Kranke und
Hilfebedürftige
in Einrichtungen, Kinder und Jugendliche,
widerstandsunfähige
Personen sowie jemanden unter Ausnutzung
einer
Amtsstellung und unter Ausnutzung eines Beratungs-,
Behandlungs-
und Betreuungsverhältnisses (ggf. schwer respektive
mit
Todesfolge) sexuell missbrauchen / jemanden (ggf. mit
Todesfolge)
sexuell nötigen und vergewaltigen / sexuelle
Handlungen
Minderjähriger fördern / Prostituierte ausbeuten /
zuhälterisch
handeln / sich exihibitionieren / öffentliches Ärgernis
erregen
/ pornographische, gewalt- und tierpornographische
Schriften
sowie pornographische Darbietungen durch Rundfunk,
Medien-
und Teledienste verbreiten / kinder- und
jugendpornographische
Schriften verbreiten, erwerben und besitzen /
verbotene
Prostitution ausüben / Jugendliche durch Prostitution
gefährden
jemanden
beleidigen / jemandem übel nachreden / jemanden
verleumden
/ Personen des politischen Lebens übel nachreden und
verleumden
/ das Andenken eines Verstorbenen verunglimpfen
die
Vertraulichkeit des Wortes, jemandes höchstpersönlichen
Lebensbereich
durch Bildaufnahmen, das Brief-, Post- und
Fernmeldegeheimnis
sowie Privatgeheimnisse verletzen / Daten
ausspähen
und abfangen / das Ausspähen und Abfangen von Daten
vorbereiten
/ fremde Geheimnisse verwerten
jemanden
ermorden / jemanden (ggf. in einem minder schweren Fall)
totschlagen
/ jemanden auf Verlangen töten / eine Schwangerschaft
abbrechen
/ für den Abbruch einer Schwangerschaft werben / Mittel
zum
Abbruch einer Schwangerschaft in Verkehr bringen / jemanden
aussetzen
/ jemanden fahrlässig töten
jemanden (ggf. gefährlich, schwer, fahrlässig respektive mit
Todesfolge) körperlich verletzen / Schutzbefohlene misshandeln /
sich an einer Schlägerei beteiligen
zum
Zweck der sexuellen Ausbeutung sowie der Ausbeutung der
Arbeitskraft
mit Menschen handeln / den Menschenhandel fördern /
Menschen
rauben und verschleppen / jemandem Minderjährige
entziehen
/ mit Kindern handeln / jemandem nachstellen / jemandes
Freiheit
berauben / erpresserisch Menschen rauben / Geiseln
nehmen
/ jemanden nötigen, bedrohen und politisch verdächtigen
(ggf.
in einem besonders schweren Fall, mit Waffen, innerhalb einer
Bande
respektive im Zusammenhang mit einem Wohnungseinbruch)
stehlen
/ unterschlagen / stehlen und unterschlagen geringwertiger
Sachen
/ unbefugt ein Fahrzeug gebrauchen / einer elektrischen
Anlage
elektrische Energie entziehen
(ggf.
schwer respektive mit Todesfolge) rauben / räuberisch stehlen /
jemanden
(ggf. räuberisch) erpressen
jemanden begünstigen / (ggf. als Amtsträger) vereiteln, dass
jemand
wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft wird / (ggf. gewerbsmäßig
respektive innerhalb einer Bande) hehlen / Geld waschen /
unrechtmäßig erlangte Vermögenswerte verschleiern
(ggf.
unter Verwendung eines Computers, bei der Bewilligung von
Subventionen
und Krediten sowie im Zusammenhang mit
Kapitalanlagen)
betrügen / eine versicherte Sache, Schecks und
Kreditkarten
sowie Vermögensinteressen missbrauchen / sich
Leistungen
erschleichen / fremdes Vermögen veruntreuen /
Arbeitsentgelt
vorenthalten und veruntreuen
Urkunden, technische Aufzeichnungen und beweiserhebliche Daten
sowie Gesundheitszeugnisse fälschen / unrichtige
Gesundheitszeugnisse ausstellen und gebrauchen / im
Rechtsverkehr bei der Datenverarbeitung täuschen / Dokumente
mittelbar falsch beurkunden / amtliche Ausweise und
Grenzbezeichnungen verändern / Urkunden unterdrücken / die
Fälschung von amtlichen Ausweisen, aufenthaltsrechtlichen
Papieren und Fahrzeugpapieren vorbereiten / sich falsche amtliche
Ausweise, aufenthaltrechtlichte Papiere und Fahrzeugpapiere
beschaffen / Ausweispapiere missbrauchen
(ggf.
in einem besonders schweren Fall) den eigenen Bankrott
herbeiführen
und Bestandteile des eigenen Vermögens der
Insolvenzmasse
entziehen / die Buchführungspflicht verletzen /
Gläubiger
und Schuldner begünstigen
unerlaubt Glücksspiele, Lotterien und Ausspielungen veranstalten /
sich
unerlaubt an Glücksspielen beteiligen / eine
Zwangsvollstreckung
vereiteln / ein Pfand-, Nutznießungs- ,
Gebrauchs-
oder Zurückbehaltungsrecht vereiteln / Pfandsachen
unbefugt
gebrauchen / wuchern / Jagd- und Fischwilderei betreiben /
Schiffe,
Kraft- und Luftfahrzeuge durch Bannware gefährden
wettbewerbsbeschränkende
Absprachen bei Ausschreibungen
treffen
/ (ggf. in einem besonders schweren Fall) im geschäftlichen
Verkehr
jemand anderen bestechen respektive sich bestechen
lassen
Sachen
(ggf. gemeinschädlich) beschädigen / Daten verändern /
Computer
sabotieren / Bauwerke und wichtige Arbeitsmittel
zerstören
Brände
(ggf. schwer, besonders schwer, mit Todesfolge respektive
fahrlässig)
stiften / eine Brandgefahr, eine Explosion durch
Kernenergie
und eine Sprengstoffexplosion herbeiführen /
ionisierende
Strahlen missbrauchen und freisetzen / ein Explosions-
oder
Strahlungsverbrechen vorbereiten / eine kerntechnische Anlage
fehlerhaft
herstellen / eine Überschwemmung herbeiführen / Wasser
gemeingefährlich
vergiften / gefährlich in den Bahn-, Schiffs- , Luft-
und
Straßenverkehr eingreifen / den Bahn-, Schiffs-, Luft- und
Straßenverkehr
gefährden / infolge von Trunkenheit im Verkehr ein
Fahrzeug
führen / einen Kraftfahrer räuberisch angreifen /
Telekommunikationsanlagen
und öffentliche Betriebe stören /
Angriffe
auf den Luft- und Seeverkehr verüben / wichtige Anlagen
beschädigen
/ die Entziehungskur eines anderen sowie einen Bau
gefährden
/ im Vollrausch eine rechtswidrige Tat begehen /
Hilfeleistung
unterlassen
unbefugt
ein Gewässer, den Boden und die Luft verunreinigen /
Lärm,
Erschütterungen und nichtionisierende Strahlen verursachen /
unerlaubt
mit gefährlichen Abfällen, radioaktiven Stoffen sowie
anderen
gefährlichen Stoffen und Gütern umgehen / unerlaubt eine
kerntechnische
Anlage betreiben / schutzbedürftige Gebiete sowie
andere
durch Freisetzen von Giften schwer gefährden / in einem
besonders
schweren Fall eine Umweltstraftat begehen
(...)
Clemens
Schittko
Grundlinkes
für A.C., B.K. und B.P.
Die
Würde des Menschen
wird
angetastet.
Die
Persönlichkeit eines jeden
entfaltet
sich nicht,
schon
gar nicht frei.
Nicht
jeder hat ein (wirkliches) Leben
und
ist körperlich unversehrt.
Die
Freiheit der Person
wird
verletzt.
Nicht
alle Menschen
sind
vor dem Gesetz gleich.
Männer
und Frauen
sind
nicht gleichberechtigt.
Menschen
werden wegen ihres Geschlechts,
ihrer
Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache,
ihrer
Heimat und Herkunft, ihres Glaubens,
ihrer
religiösen oder politischen Anschauung
benachteiligt
oder bevorzugt.
Menschen
werden
wegen
ihrer Behinderung
benachteiligt.
Die
Freiheit des Glaubens, des Gewissens
und
die Freiheit des religiösen
und
weltanschaulichen Bekenntnisses
werden
verletzt.
Die
ungestörte Religionsausübung
wird
nicht gewährleistet.
Menschen
werden gegen ihr Gewissen
zum
Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen.
Nicht
jeder darf seine Meinung
in
Wort, Schrift und Bild
frei
äußern und verbreiten
und
sich aus allgemein zugänglichen Quellen
ungehindert
unterrichten.
Die
Pressefreiheit
und
die Freiheit der Berichterstattung
durch
Rundfunk und Film
werden
nicht gewährleistet.
Eine
Zensur findet statt.
Kunst
und Wissenschaft,
Forschung
und Lehre
sind
nicht frei.
Ehe
und Familie
stehen
unter keinem besonderen Schutz
der
staatlichen Ordnung.
Über
die Pflicht der Eltern
zur
Pflege und Erziehung der Kinder
wacht
nicht die staatliche Gemeinschaft.
Gegen
den Willen der Erziehungsberechtigten
werden
Kinder von der Familie getrennt.
Nicht
jede Mutter genießt den Schutz
und
die Fürsorge der Gemeinschaft.
Das
gesamte Schulwesen
steht
nicht unter Aufsicht des Staates.
Lehrer
werden gegen ihren Willen verpflichtet,
Religionsunterricht
zu erteilen.
Nicht
alle Deutschen
dürfen
sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis
friedlich
und ohne Waffen versammeln.
Nicht
alle Deutschen
dürfen
Vereine und Gesellschaften bilden,
schon
gar nicht zur Wahrung und Förderung
der
Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.
Das
Briefgeheimnis
sowie
das Post- und Fernmeldegeheimnis
werden
verletzt.
Nicht
alle Deutschen
genießen
Freizügigkeit
im
ganzen Bundesgebiet.
Nicht
alle Deutschen
dürfen
Beruf, Arbeitsplatz
und
Ausbildungsstätte
frei
wählen.
Menschen
werden
zu
einer bestimmten Arbeit gezwungen.
Die
Wohnung wird verletzt.
Das
Eigentum und das Erbrecht
werden
nicht gewährleistet.
Eigentum
verpflichtet nicht;
sein
Gebrauch dient nicht
dem
Wohle der Allgemeinheit.
Eine
Enteignung,
die
dem Wohle der Allgemeinheit dient,
ist
nicht zulässig.
Grund
und Boden,
Naturschätze
und Produktionsmittel
werden
nicht zum Zwecke der Vergesellschaftung
in
Gemeineigentum oder in eine andere Form
der
Gemeinwirtschaft überführt.
Die
deutsche Staatsangehörigkeit
darf
entzogen werden,
wenn
der Betroffene durch den Verlust
staatenlos
wird.
Deutsche
werden
an
das Ausland ausgeliefert.
Politisch
Verfolgte
genießen
kein Asylrecht.
Nicht
jedermann darf sich einzeln
oder
in Gemeinschaft mit anderen
schriftlich
mit Bitten oder Beschwerden
an
die zuständigen Stellen
und
an die Volksvertretung wenden.
Der
Rechtsweg ist ausgeschlossen,
und
ohne Gewähr
sind
(wie immer) die Angaben.
|
|
Gerald Fiebig / Augsburg
/ *1973 |
Letztes Buch: „der foltergarten“, 2006 |
(ZURÜCK) |
Gerald Fiebig
maschendraht
die weltgeschichtliche niederlage
des weiblichen geschlechts
aus dem geiste der
bestrickenden maschen
mit denen das beste wollschaf
des zaunkönigs umgarnt wird
& kaum 5000 jahre (lang
& schal wie ein schal
in der bartlänge des bärtigen
ahnvaters oder propheten) später
am gekachelten holzpizzabachofen sitzen
zwei mutterrechts zwei hyperlinks
auf der internettauschbörse
für familienstrickmuster:
die alte masche mit den zöpfen
neu vernähen & dabei doch
gut abschneiden (nur ja
keine patchwork-begegnung
von deutschem regenschirm
& türkischer nähmaschine
in der staatlichen grundschule:
heilige maria montessori, bitte für uns
jetzt & für unsere kinder in der stunde
des übertritts aufs gymnasium)
die geburt der familie, des privat-
(lebens)eigentums & des staates aus dem
wollknäuel des theseus
mit dem er ariadne minoziös aufgerollt
einwickelte (apokryph) & sie bestrickte
ihn bis sie den faden verlor
wie penelope die aber verstrickte
sich gar nicht weil sie weberin
war & einen text fabrizierte
den die freier (da halfen – texte veut dire
tissu – keine tissue-taschentücher,
beim inexistenten barte des barthes!)
nicht vermochten zu lesen (aber freier
als strickerinnen sind stricher
auch nie gewesen: saint genet,
bitte für die mundtot gemachten
– töten, von gloeden –
aus den abgefuckten – aber sowas
von tote metapher! – pasolinipornos
mit dem feuerquallendekor
an den stränden arkadiens: et ego
ismus mit narzisstischer störung)
doch trennte sie zwar nachts ihr gewebe
doch niemals die bindung ans garn
des gatten mit dem er die geschichte
abspulte die sich sodann
blindlings bis zu den simpsons
(homer & marge-inalie, beim barte
des bart!) zusammenspann
in epischer breitseite
im haus der gehängten in meiner heimat
where the
dead walked
and the
living were made of cardboard
murmelte der alte mit dem bart in den selbigen
als die insel lesbos (wiederum apokryph)
sich hinter der schrottreifen flotte vergraoulte
wie ein nordatlantisches bündnis im mal-
kurs oder strickstrom des subjekt-
(& was ist dann mit dem geschlecht?)
losen prozesses des transnationalen
finanzkapitals dieser laufmasche
geschichtlich verstrickt
dieser von analysten oral
entflochtenen wirksamkeit
der ware die immer fadenschein
haft erwirkt gegenüber der wirkware
der heckenschützenstiftungen
mit heißer naddel gestrickt
auf dem bildschirm die brüste
von germaniens nächstem toposmodell
& die strengen kostüme
der kanzlerin sind zwei seiten
desselben sparstrumpfs
mit zahlreichen losen enden
(& da gibt es keinen schnellen ausweg,
da gibt es nur tote frauen: die von
Althusser,
Baader, Charles manson:
ein ABC-festival, das im massengrab endet)
wenn onkel dagobert als strickleiter
die orgonakkumulation anführt
weil er lange vor wilhelm reich war
& weil es nicht
reicht, junggeselle
kinderlos, schwuler
& gruppenmitglied
zu sein (gilles
deleuze, bitte für mich
verdächtiges lyrisches subjekt von den gnaden
des vom führer approbierten gelehrten
schriftleiters für die krankheiten
von haut & geschlecht, doktor gottfried faust,
jetzt & in der stunde meines todes:
ich zitiere – dich! – nur aus liebe)
um ödipus & homer & diesem ganzen
olymp-geschlamp zu entkommen
wo die sexuelle revolution der einen gene-
ration die nächste rektal (mit ver-
oder eichenlaub – „ich bin schwul,
also kann ich kein nazi sein“)
rationiert & die fleischliche lust auf geflügel-
brühe einbrüht bis einem vor lauter
speichelleckerei am selben alten stiefel
das wasser zusammenläuft im oral
überdeterminierten sprachzentrum
schon völlig geliefert unterm dauerbeschuss
von folklore & landesväterlichem
muttersprachunterricht, mothers fugger,
ihr bleiche leichen mit schwarzen abzeichen:
die explosion findet
nicht heute statt.
es ist zu früh ...
oder zu spät – frantz
fannin’ the
flames, but baby won’t burn:
denn der kapitalstrom ist ein malstrom,
ein wildwasser aus einer sintflut aus tränen-
kanaldruck, der uns sein strickmuster aufdrückt.
doch am ende drehn wir die spießer
um dass sie sich drehen wie spieße
von dönerfleisch in einem gyros aus durchsichtigem
glasfleisch & nennen beim namen den strick
im haus des gehängten
ziehen dem kaiser die neuen kleider aus
& das fell über die ohren wir hängen
60 jahre am strick & zappeln, aber
wir werden uns losschneiden. sagt
der dichter. sagt die frau: meinetwegen!
ihr werdet deswegen nicht heller sehen.
die strickmusterbogen ausreißen & anzünden.
& was tun, wenn’s brennt?
öl reingießen. |
|
Jana Barthel/ Kater
Lezmann / Halle(Saale)/ *1983 |
|
(ZURÜCK) |
Jana Barthel / Kater Lezmann
1
Ich will nicht nach Timbuktu
eine Wäschekammer
wo ich doch in Schlössern aufgewachsen bin
man mir jeden Wunsch von den augen ablesen kann
schau nur hin
ich zeig sie dir
kalte Schulter
2
Diskussion: Kinderspielzeug, ich bin Designer
Wir denken an alles,
Fernsehen, Erziehung, Intelligenz.
Doch am Ende
ist man sich sicher:
das kommt ganz darauf an
wie ätzend
3
Der Bauer reitet
den Trekker der pflügt
ich ein Kuchenblech im Schnee
10 meter nicht weiter
blaue Flecken und die Ernte
the ever
blazin beat
davorn geht’s geradeaus
4
has it come
to this
na. alles klar
spannend hier
wir sehen uns.
Ich lecke am Boden und denke Lebensmittelvergiftung.
5
nachts fressen die Rehe das moos von den Türen
und mücken
die Oma kocht Stachelbeeren ein
wenns dunkel ist
kann sie nicht mehr schlafen
aus Gewohnheit
früher hat sie erzählt
von den Russen als das Haus noch bewohnt war, gerne
sie macht Stücke
mit rissigen Händen
beim dritten Anlauf fällt ihr mein Name ein |
|
Lars-Arvid Brischke /
Berlin / *1972 |
Letztes Buch „eine leichte acht“, Lyrikedition 2000, 2006 |
(ZURÜCK) |
Lars-Arvid Brischke
184
krawatten für gerhard schröder
eine rote krawatte
eine glatte krawatte
eine krawatte aus gold
zusammengerollt
eine schwarz gefärbte krawatte
eine geerbte krawatte
eine olle krawatte aus baumwolle
eine arbeiterkrawatte die vater trug durch die not
eine tolle krawatte passend zur hose
eine krawatte um abzuwarten
eine krawatte aus der dose
eine schattige krawatte für den garten
eine unbehelligte krawatte
eine rosige krawatte
eine echte krawatte
eine unbeteiligte krawatte
eine schleierhafte krawatte
eine krawatte von bestechender logik
eine krawatte zum durchstarten
eine kanzleikrawatte
eine kleinkarierte krawatte
eine krawatte die nichts bescheinigt
eine krawatte die nichts bereinigt
eine krawatte für besserverdienende
aber eine krawatte die nichts beschönigt
eine krawatte zur reihenhaus-einweihungsfeier
eine rund um die uhr beschattete krawatte
eine innovative krawatte
eine bleierne krawatte
eine bügelfreie krawatte die auch nur ein schlips ist
eine wiedererkennungskrawatte für frogs (friends of gerhard
schröder)
eine steuerfreie krawatte
eine rosarote krawatte
eine barrierefreie krawatte
eine krawatte der toleranz
eine glänzende rote karrierekrawatte
eine krawatte als rattenschwanz
eine krawatte made in china
eine krawatte gebunden mit ruhiger hand
eine krawatte fürs kanzleramt
eine rot lackierte krawatte die über uns allen weht
eine krawatte fürs vaterland
eine rotgrüne krawatte
eine krawatte pro bundestagsdebatte
eine krawatte kontra
eine demokratische krawatte
eine demokrakrawatte
eine demo kra kra watten tatte
eine demo kra kra kra wattat tata!
eine demokratenkrawatte
eine demo-krawatte
eine büro-krawatte
eine bürokratenkrawatte
eine gute-taten-krawatte
eine humanitäre kaschmir-krawatte
eine tarnkappenkrawatte über belgrad
eine stark gerötete krawatte
eine sozialedemokratische krawatte deutschlands
eine krawatte aus dem rohstoff gehirn
eine aus russland importierte krawatte
eine krawatte mit ostseepipeline
eine krawatte aus feinstem zwirn
eine genossenkrawatte für bosse
eine kraftwatte
eine wasserkraftwatte
eine kohlekraftwatte
eine windkraftwatte
eine unterschriftenkrawatte im atomkonsens
eine krawatte aus dem stoff
aus dem die schäume gemacht sind
eine nach russland exportierte krawatte
eine krawatte für den kraftakt
eine krawatte die die probleme anpackt
eine enorme reformkrawatte
eine sozialkritische krawatte
aber diese krawatte ist ja nackt
eine krawattenkarafatte
eine krafattate
eine demokratschende graffitifatte
eine krafatti kra-ra
eine klaffende krawatte
eine gaffende krawatte
eine starrende krawatte
eine klampfende krawatte
eine krampfende krawatte
eine kämpfende krawatte
eine dämpfende krawatte
eine dampfende krawatte
eine gedünstete krawatte
eine bedienstete krawatte
eine beamtete krawatte
eine krawatte aus watte
eine günstige krawatte
eine kritische krawatte gegen linke krawalle
eine richtige krawatte für alle
eine fußballerkrawatte für ein spiel gegen roboter
eine blassrote krawatte
eine krawatte kurz vor der pleite
eine krawatte für philipp holzmann
eine kirch-krawatte
eine krawatte für den spiegel
eine krawatte für die nabelschau
eine krawatte für die sich keiner zu schämen braucht
eine schemenhafte krawatte
eine krawatte mit der man zigarren raucht
eine krawatte die plötzlich aus dem nichts auftaucht
eine stilvolle krawatte ohne gedöns
eine krawatte für die hannovermesse
eine weltmeisterkrawatte - basta
eine online-krawatte für kinder & inder
eine open-air-krawatte
eine adoptierte krawatte
eine krawatte mit crevetten
eine krawatte gegen den rinderwahn
eine freilandkrawatte
eine krawatte statt einer serviette
eine gleichgeschaltete krawatte
eine brüderliche krawatte für frere jaques
eine veraltete krawatte
eine tony-krawatte tonight
eine rechtzeitig ausgeschaltete krawatte
eine krawatte die bush in den schatten stellt
eine langfristig ausgestaltete krawatte
eine krawatteattrappe für den frieden der welt
eine gestärkte krawatte
eine großkrawatte
eine krawatte die wladimir gefällt
eine geflickte krawatte aus vierter ehe
eine krawatte vor der zerreißprobe
eine hände-in-den-schoß-krawatte
eine apathische krawatte
eine salomonische krawatte
eine durchgreifende krawatte
eine geheime krawatte für den sondereinsatz im irak
eine allumfassende krawatte
eine krawatte nach der zerreißprobe
eine krawatte für hartz eins zwei drei vier
eine krawatte zum zähneausbeißen
eine camouflage-krawatte für den empfang am hindukusch
eine krawatte aus granit
eine krawatte aus beton
eine ehrgeizige krawatte 20-10
eine krawatte mit widerhaken
eine krawatte aus weißen laken
eine schweißnasse krawatte die troff
eine zupackende krawatte im zoff
eine krawatte mit gummistiefeln im schlick
eine krawatte für den fall eines falls
eine krawatte die zu eng ist am hals
eine krawatte die mit der zeit in eine albernheit ausartet
eine krawatte die in der luft liegt
eine krawatte die in die luft fliegt
eine ausgefranste krawatte zum durchregieren
eine krawatte mit der sich die vertrauensfrage stellt
eine herbeigeredete krawatte
eine zugespitzte krawatte
eine krawatte zum abnicken
eine farblose krawatte
eine krawatte zum einknicken
eine krawatte die neuwahlen will
eine krawatte zum abwinken
eine krawatte mit der sich erneut die vertrauensfrage stellt
eine krawatte mit latte
eine krawatte macchiato
eine krawatte vibrato
eine krawatte in ihrer schwersten stunde
eine krawatte in der elefantenrunde
eine geschmacklose krawatte die auf ein belegtes brötchen
geraten ist
eine durchsichtige krawatte
eine krasse krawatte nach der entlassung
eine krawatte mit insider-kreisen
eine krawatte mit planquadraten
eine krawatte zum bedecken der geheimratsecken
eine durchscheinende krawatte
eine verblichene krawatte
eine rostrote krawatte
eine weißblaue krawatte aus zürich
eine krawatte von ringier signiert
eine mausetote krepppapierkrawatte
eine krawatte mit polnischen totenschädeln
eine schwarze krawatte mit roten smileys
eine krawatte mit mehreren schalen
eine krawatte zum bar bezahlen
eine autobiographische krawatte aus deutschland
eine krawatte am ziel
& keine krawatte zuviel.
Lars-Arvid Brischke
elternhaus,
spieltheoretisch
die kontostände der familie
sind nicht immer transparent. mutter
möchte flüssig bleiben, zahlt sich aus für
haut & haar die lukrative
abwrackprämie ihre stirn
geboten hat sie vater. vater
aber nimmt sie nie
für bare münze, macht sich
über ebay lieber
selbst zur ware oder dreht
im bad den geldhahn auf. ich
als pokerbroker stürz mich
auf die altbewährte währung die
mich vereinnahmt & mich stützt, mutter
mutter locker wie sie ist verzockt sich
nie geht sie ans eingemachte, vater
vater spekuliert auf raten
letzte chancen zu verbraten
wenn ein kuss im keller ist
setzt er
alles auf sein sofa schließlich
kommen einmal jährlich zins
& zinseszinsen um mit geld
den kreislaufkollaps zu kaschieren.
Lars-Arvid Brischke
totentanz
s.m.
scheveningen pompstationsweg. schallmauern reden.
feldstecher reden. verwackelte sekunden reden.
fesselnde hektik in mimik & gestik. eingepferchte
dünen reden. nacht & nebel sind auf sendung.
der angeklagte ist geliefert ist gefragt.
handlanger helfen mit. versprengte helden
helfen mit. spitznamen erinnern sich. zirkelschlüsse
sind der beweis. schmerzverzerrte brückenköpfe.
befehle & quälende apparatschiks
helfen sich mit einer neuen identität.
der angeschlagene beklagt sich & fragt sie aus.
eine serie von zerfallsprozessen. aus der medienlandschaft
nicht wegzudenken. truppen die sich dagegen stemmten
überschwemmen die kanäle. egal, ob es exhumierungen gibt
der gesichtsverlust ist absehbar. insider wissen es. generäle
wissen es. mikrofone werden zum schweigen gebracht
wenn der ex-oberbefehlshaber die nahaufnahmen hinterfragt.
seilschaften wissen nicht weiter. fernsehanstalten wissen
nicht weiter.
erschöpfte beobachter wissen nicht weiter. massaker wissen
nicht
wer sie verübt hat. jedes kreuzverhör ein jojo-effekt.
ahnungslose blutgefäße. die pflichtverteidiger wissen nicht
weiter:
der ex-präsident verteidigt sich selbst.
wer provozierte den extremen blutdruckschwund.
wie ist die doppeldosis in den mann gekommen.
wer wollte die einfache fahrt nach moskau.
wer würde dafür einen herzinfarkt risikieren.
wer wird für diesen todesfall verantwortlich zu machen sein.
gerüchte reden weiter. laudatien reden weiter. tiraden reden
weiter.
die verantwortlichen reden weiter. die unverantwortlichen
reden weiter.
dokfilme drehen sich weiter & stricke. die spieße drehen
sich um:
der angeklagte ist verstummt
& verlässt das gefängnis
als unschuldiger.
Lars-Arvid
Brischke
totentanz j.c.m.
london stockwell underground, beamte in zivil
die folgten ihm seit er das haus in scotia road
verließ. das mutmaßliche haus. sein trenchcoat
für die witterung zu dick. sein schwarzes haar –
ein offensichtliches indiz. & wie er plötzlich
eine gratiszeitung aus dem blechbehälter nahm.
die wussten nicht: der überspringt weil er spät dran ist
die barriere. die dachten nur: der sprengt sich in die luft.
& was sie dachten wurde zum verdachtsmoment
zehn schüsse abzugeben: sieben in den kopf fünf tödlich
vier beamte in zivil, die ihre drei genannten gründe
nicht begründen können: ein brasilianer, nirgends dynamit.
die eile im berufsverkehr. das weite mäntelchen
des schweigens das jetzt eng anliegt. |
|
Stefan Monhardt / Berlin
/ *1963 |
Letztes Buch: „augenblicksgötter“, Gutach: drey
2007 |
(ZURÜCK) |
Stefan Monhardt
wir wissen wie man den wind macht und
himmlische kinder und schläfensausen und röhrenden
geist aus unsichtbaren turbinen hantieren
das donnerblech die gewinde und pleuel
nachts wenn du die ritzen deines hauses verstopfst
entführen wir leute in geflügelten apparaten
und zerschlagen ihnen die glieder so
künstlich daß keiner es wahrnimmt
dem es widerfuhr der haßt sich den rest seiner tage
der dreck
und dir schlafendem haben wir den leib mit
glöckchen und klirrendem flitter umwunden und
als du erwachtest und dich rührtest und
sprechen wolltest da entfuhr dir nur fremdes getön.
Veröffentlicht in: „augenblicksgötter“ (siehe
oben) |
|
Weitere in Frage gekommene
Autoren (alphabetisch): |
|
Armin Steigenberger /
München *1965 |
Letztes
Buch: „gebrauchsanweisung für ein vaterland“, POP Verlag, Ludwigsburg,
2006 |
(ZURÜCK) |
Armin Steigenberger
ROBESPIERRES KLEIDERSCHRANK
mit nichts darin als dem geruch nach gebeiztem
fichtenholz der
säuerlich darin hängt ein paar
schrammen im holz keine bundlosen weit aus
geschnittenen stulphosen nur scharten und ritze
weder hemden mit flatternden krägen scharlachrote
mützen auf der ablage noch gelockte weiß gepuderte
perücken keine
hüte mit federn oder geschärfte brillen
keine schärpen kokarden und schleifen nur der herbe
geruch alten gedunkelten holzes beiläufig bitter
schrammen und schürfungen ganz unten ein schrank
mit nichts darin als einer eisenstange zum aufhängen
von westen und jacken im bodenbrett hell verschrammt
ein paar flecke gallseife ein rest salzigen
reinigungsgeruchs
dunkel vertropftes junger staub auf den zwischenbrettern
Armin Steigenberger
SONDERSITZUNG
In Gedenken an Tim K.
Ich sah dein herz durchlöchert im feuersturm,
beretta
92 als tatwaffe.
die 15 schuss pro magazin: sie
trafen und töteten 16
menschen.
Und bestens ist der tathergang recherchiert,
bestandsaufnahme säuberlich durchgeführt
die neuigkeiten blubbern stündlich,
alle kanäle sind live am
tatort.
Vorbei: dein herz schlägt nicht mehr. es hörte auf.
zur
stunde tagt das bundestagskabinett
man zeigt am overheadprojektor
bilder vom tatort und
zoomt die toten.
Was trotz erfolg noch besser zu machen wär,
auch
wenn die einsatzkräfte zu hunderten
ein vorbildliches tun bewiesen
gilt doch wie immer ein
mehr an leistung.
Zur aktuellen stunde bespricht man nun,
was seitens politik und auch polizei
passiert ist während eines morgens.
manch einer zupft am
krawattenknoten.
Armin Steigenberger
DEUTSCHLÄRM
die oberfläche jagt hübsch weiter. es naht
der aufschwund, notgewandelt, das volk ist sau
laden rings, so bunte geist, verfuchtelbau,
allergisch verdeutelt. götterfunzeldraht
im allpapier: die kran den schwalben hecht
als wollung und fun-geblüt verwerbt, verderbt
die propAG in halbwertszeit verscherbt ―
ein tiererlei an junkwertkost verzecht.
doch volksverschnitt im brokerismus krankt
der standort, sternhopst gürtelbeengt in welt
couleurs, machtoffne herzen, macht liebe, dankt
dem selbsterlös im psychopott, verfällt
devisenschlichtungswert: uns eint das geld ―
die sphinx in gold (weiß papst) ― äugt sakrosankt.
Veröffentlicht in: „gebrauchsanweisung für
ein vaterland“, POP Verlag, Ludwigsburg, 2006
Armin Steigenberger
WIR BETEN FÜR unser plastik
verschmortes glück
und den goldfisch im portfolio
(sprinkling sparkling)
wir falten die hände
für opel und die deutsche bank
wir beten für brooklyn für den
landgoldvaterunservertreterlandsegen
für ein wenig weniger regen
für alle rasenden und alle versandeten
wir gehen in uns bei black soul choir
und unsere ad acta gelegten zungen
wir singen ein wenig mit
für die uneingeschränkte freiheit
wir beten für alle und uns
lustzuckende heterosexuelle ausatmer
wir beten für unsere neidlosen nerdhaften
nachbarn im sorgenbrecher und im come out and find inn
für nachmittage im sonnenlicht mit sonnenschutzfaktor 24
wir bäten gern für unser einmalland unsere wegwerfheimat
beten für unsere gute ernährung für weiteren zahnersatz
für neue coole songs zum download mit live style stream
für bessere downloadraten mit gratispaketen
und gespenstisch viel redefreizeit
für unsere ganz privaten himmelstreppen
mit den dir geschenkten herzen vom tingeltangelmann
Armin Steigenberger
WURSTKÄS
wir bereiten
wir bereiten
uns vor für
den worst case
arbeit platzt
geld verbrennt
wir bereiten
wir bereiten
der würstchen steuer
zahlers karo
bildungsziele
chapter nein eleven
konjunktiv tot
rezession und
rettungsringbilanz
wir bereiten
wir bereiten
den westkurs
vor strohfeuer
liquiditätsschmelz
zielnahe zielmarke
geld fließt prozyklisch
einschießt geldtum
wir brauchen wachs
wir bereiten fragen
wir bereiten geld
reiche russen
kumpeln rum mit bossen
hortungsspirale
wir sind bereit
wir sind
bereit
after
cursed ways
for the
worst case
die schockstarre
verwunden das an
gebot der stunde
hochgekrempelt
obamapaket
wir berieten
wir berieten
den new
deal
den handkäs
co² frisst in
vest case
chapter
dein eleven
völlig wurst
konsumiert
wir bereiten
wir bereiten
washed
cheese |
|
Bernhard Erich Kaute / Lend im_Pinzgau(A) / *1984 |
|
(ZURÜCK) |
Bernhard
Erich Kaute
tätowierungen
bilder
zieren meinen körper
sie leben auf ihm
eine landkarte
aus farbe und haut
zellen und pigmenten
gegerbtes leder
in einen rahmen gespannt
zeugnisse meiner träume
sichtbar für jedermann
vielleicht ende ich mal
als lampenschirm
Bernhard
Erich Kaute
analog xenophob
eidotter
fließt langsam
über mischbetonwände
durch die erde der gräber
brechen vereinzelt hände
geschlossen staut die
sonne farben auf
eine spektralexplosion
taucht die ganze nation
in ein meer aus heissen
regenbögen
worin alles zerfließt
und aus dem schmelztiegel
ein neuer morgen ersprießt
die welt huscht umher
scheu wie ein reh
aus den wäldern tönt es vorlaut
egalité
Bernhard
Erich Kaute
backdraft
am
scheideweg unserer existenz
schlagen schmetterlingsschwärme
zeit in die flucht und lassen
uhren in lichtgeschwindigkeit
rückwärts rotieren
wenn sie morgen essensmarken
verteilen, dann fresse ich die
kakerlaken in meinem scheisshaus
und entzünde danach das ewige
licht für ihre unsterblichen
seelen
flugblätter verkünden den anfang
vom ende und die letzten zweifler
stehen schwitzend in jauchegruben
und atmen den ekelhaften gestank
der gewissheit
die blausäure durchströmt meine
lungen, setzt sich auf das sofa,
schaltet den fernseher ein, zieht
sich meine pantoffeln an und fühlt
sich wie zuhause
erstarrte kadaver stehen spalier
für das vergessen ihrer kinder und
die natur des menschen krönt sich
zum könig der immerwährenden
finsternis
Bernhard
Erich Kaute
beijing
menschen
verbrennen in kohleöfen
der große vorsitzende onaniert
angewidert vor den fünf ringen
wenn der einzelne keinen wert hat
ist das kollektiv unaufhaltbar
am tien an men platz ist nie etwas
passiert
pandabären in volkstrachten tanzen
um atomsprengköpfe
unter duldung einer fettgefressenen katze
laufen die kapitalisten auf freiersfüßen
gabriel mit dem flammenschwert
ein todesstoss um mitternacht
schlachtet die hauptstadt
die hure babylon wartet in den wehen
um ihr beim sterben gesellschaft zu leisten
|
|
Birgit Schwaner / Wien/_*1960 |
Letztes Buch: „Lunarische Logbücher“, Ritter Verlag, Klagenfurt –
Wien; 2007 |
(ZURÜCK) |
Birgit Schwaner
schattenwerfer*
fall o.
start klar?
stewardessen, piloten
passagiere: auf
ihren platzen
angeschnallt, sssst!
schon geht es
los in den köpfen,
weißes wirft
schwarze schatten,
hände mit taubenfedern
gespickt, dachte
ich, also ikarus
ikarus hockt im
cockpit (hahnengrube,
auf deutsch), hockt
da: polierte sonnenbrille,
schnabel geschärft,
mit geblähtem
hals: fesch überm
akkuraten kragen
sssst! schon geht es
los in den köpfen
(unsichtbar
uniformiert) blickt alles
um sich: voraus,
zurück
hände aus wachs, mit
federn gespickt
(heute wird hier
verpickt und verpackt)
blickt alles um
sich: nach rechts, links, rechts:
fußzehen, nasen,
blanke pupillen,
traumfilter,
nachtschleim, blondhaar
betone: alles
verkleidete kapitäne
kapitäne mit weißer
haut
o, so feine weiß
schimmernde haut
alle sollen hier
hoch hinaus,
alle hoch heißt:
einer hinaus
zweifellos: wollen
alle das beste
laken, schneereden
zweifellos, aber
wer zweifelt: passt
nicht hierher:
tragflächenstop,
kein notausgang mehr
dürre windbruch brachland, vorbei
sagen: zu schwarz,
um uns
weiß zu sein, unruly
passenger,
hohes gericht (und
das stempelt
stampft dann die
äugen stampft
die tränen wimpern
gesichter stampft
auch die arme leiber
schreie
schnürt ganz afrika: fremdenpaket
klettverschlüsse
privateigentum)
ikarus, weißes wirft
schwarze schatten
keine gefäßlichtung
atmet der
flüchtling?
atmen? atmen wird
abgeschoben
knebel im namen der
republik:
servus, in unsrer
luft soll so einer
nicht essen nicht
trinken nicht
an lehnen treten
nicht schreien
tragflächenstop
kein notausgang mehr
rechte untere
extremität: blutunterlaufungen:
schienenbeinkante,
innenseite des unterschenkels,
fußrücken; bräunlich
verfärbt an derwade:
injektion
formalinjektion:
vogelfrei grenze
zerbrochen
wohlstandsgrenze,
bleiben gewollt
also: erster mai
blaulichteskorte:
rollfeld abwärts,
hat nichts zu wollen
wollte doch aus dem
fahrzeug flüchten
also: hände und
beine gefesselt
beine knieabwärts
verklebt
(klettverschlüsse:
privateigentum)
lippen, mund: unter
leukoplast
(hat nichts zu
schreien)
klebeband um den
köpf um um
schlug sofort dann
stirn gegen scheibe
stirnschlag,
stirnschlag, dienstwagenscheibe
wer panisch um sich
schlägt, tritt und hilflos
in eine hand beißt,
amtliche hand
(hautabschürfung: ein
zentimeter, leichte krusten
it. protokoll): wer
so zweifelt passt nicht hierher
arme an den körper
geklebt
... dann in die
maschine getragen (fischbauch,
bullauge, hinten
rechts) schubhäftlingssitz
paketklebeband graubraunes, breites
wie viel meter hält
ein
lebensfaden das aus?
linke untere
extremität: blutunterlaufungen:
schienenbeinkante,
innenseite des unterschenkels,
innenseite des
kniegelenks, außenseite
des unterschenkels,
fußrücken, innenknöchel.
motoren: zu laut
ikarus, wissen die
moiren schon
oben im fischbauch:
weißes rauschen
moiren,
flugalphabetisiere:
mike oskar romeo
echo november
wissen alles, fasse
zusammen:
greisinnen, blind,
in der höhle
in einem felsen
mitten im meer
(flugalphabetisiere:
mike echo echo romeo ...)
schicksals-manufaktur,
umnachtet
lachesis: spinnt
jeden lebensfaden
färbe egal, den
rocken hält klotho
atropos schneidet
ab. nehme an alle
fadenreste in allen
färben landen im meer
(mythos: mit lichten
fingerkuppen
papageienschnabel
vielleicht: wächst dann
wächst aus maschinenritzen,
wuchert:
flimmern zum abend
hin)
schwarz und gelb und
gelb und weiß und rot und braun ...
das irritiert die
stewardessen:
drei mann für einen,
drei staatsbeamte
während des fluges
zwei- bis dreimal
köpf mit einem
paketband fixiert
mit erheblicher kraftaufwendung
klappen zu,
tuchfühlung, man hebt
ab. reiben sie ihre
außenhäute
ruhig aneinander,
ruhe ist pflicht.
sagen: laute, als
sei er ein tier
sagen: muhte, und:
mumie gesehn
hätten noch nie eine
mumie gesehn
in der luft zwischen
staatsbeamten
sog im schweigen der
passagiere
(einer wird
abgeschnürt: österreichgewalt:
heute wird hier
verpickt und verpackt)
luftig weiß heißt
verklebtes schwarz
schrrrttt,
schattenwurf, schattenhirne, klebriges
in köpfe gestopft,
schrrrttt die wächsernen herzen
verhüllt,
passagierblindheit, schattenflüge, herzen
in schleifen,
schleifender atem, äugen zu, kinder!
fauste entfesselt,
soviel weißes wirft schwarze schatten
hände mit
rabenfedern gespickt
einer wird in den
schlaf gepickt
einer wird hier
erstickt und verprackt
ob man schläft, wenn
sie einen verkleben
ob man überhaupt
atmen kann, tief atmen,
meine ich, wie ein
kind - ist alles verloren
tut es doch gut,
tief atmen zu können, atmen
als war man allein,
die sonne nah
wenig kontrolle im brustkorbbereich
jetzt, jetzt wird er
ihnen entschlüpfen
im gewundnen
paketklebeband, also
ertrinken im bauch
eines fisches
sinken, stracks in
frühere tage, jähre:
nicht mehr zu
greifen, schmerzenlos,
nicht mehr zu
greifen, kein freund
könnte ihn
zurückholen, jetzt, noch
eine minute, dann
schlägt das herz den
rhythmus allein
schau: was machen
die drei bewacher
(machina, ergo
maschine mensch):
denk dir was schönes fremdenpakete
oder sein herz
schlägt
den rhythmus allein
(schlägt ein herz
den rhythmus allein
wird der puls zum
echo der moiren)
in
summer i was living
in the
tummy of a fish
it was a
big fish
so it
didn't notice me
„fish,
who are you,
where
are we now?"
i once
yelled against the walls
the
walls of its body inside
inside
there was no sun
only
some kind of reflection of light
like
half of the moon
and i
got no answer
i
listened one day one night and
the next
night too
(knew it
by watching my old alarm-clock)
listened
until i
imagined
the sea outside, salty winds
and
sometimes a fish touching
other
fish perhaps touching
people
(swimming, diving?)
there
was no answer
durch alle bullaugen
wind sonne wind
blendung
lichtschneise: leere berührt
hallo, hier spricht
ihr kapitän
fasten your
seatbelts wir heben ab
immer heben wir ab
überfliegen
das alte meer mit
der sonne nur mit der
sonne im cockpit auf
höchster etage
müssen sie
entscheidungen treffen
zuviel soziales
denken behindert
als ich ein kind war
wollte ich weiter
weiter nach oben
schon als ich kind war
ein sog hinauf
hände mit
rabenfedern gespickt
bringen im tuch das eröffnete herz
in der große der leichenfaust
himmlisches klappern
der anatom
soll man das
kapitänen zeigen?
wer wäscht ihre
köpfe in schuld
wäscht ihre weiß
verklebten hirne
wäscht sie wach
riskiert turbulenzen
demoliert den
autopilot
ikarus? ikarus
abgestürzt, logisch,
dachte ich, ssstttt,
und die meere
erfroren, in
scheiben geschnitten
paraffin fettrot
berlinerblau
schnürt was schnürt
was
* entstanden im frühling 2006,
im rückblick auf den tod von markus omofuma am
1. mai 1999, der während
einer flugzeug-abschiebung
seitens des Österreichs
unter klebebändern erstickte, mit denen ihn seine
„begleiter"
„fixiert"
hatten.
|
|
Boris Laaser / Berlin /
*1969 |
|
(ZURÜCK) |
Boris Laaser
Rasselbande
Das Erbe der 68er
Uns aber,
denen vielschichtige Lieder beingewollt
so im geübten Flug das Herz bedrängen,
an deren Zeiten rücken, uns Traumverbliebene,
denen der Rücken versagt vor
soviel Nichts,
Oder wenigstens: Manchmal
erscheinen die geübten Dinge uns
ganz tot zu sein, vorgegangen. Mit den
geerbten, rostigen Schlüsselbunden
üben wir die Wache am leeren Luftkäfig.
Unsere Herren tragen Leder und fahren
den verhaßten und beliebten Sternen
nach. Wir
rasseln mahnend den Lärm.
So mancher Penner behauptet, für ein Bier
zeige er uns, wo es schließt -
wir könnten dann mal nachsehen.
Uns aber,
denen die Lieder die Beine
genommen, wir fliegen
unseren Herzensflug -
vergeben
keine Schlüssel mehr, wir
haben keine Landung: Spieler, Schwärmer
Notgestalten.
So manches Auge eines Alten zwinkert,
hält uns noch am
Fliegen.
|
|
Carina Nekolny / Wien /
*1963 |
|
(ZURÜCK) |
wientouristinnen
/ pamphlet poetry*
Carina Nekolny
herbergasyl 4
bergfreie gegend mit stall oder
hütte für asylgewerber die brau
chen kaum mehr als 4 stock
betten zum schlafen die schlaf
gänger wiedergänger wer nicht
ertrunken ist auf der fahrt aus
dem orient vor kanarensardini
enmalta wird abgewiesen abge
schoben in wüsten geführte sa
harawanderung ist angesagt ist
schön für outdoortouristen mit
berberkoch der tee so schwarz
so süß der tee & der himmel erst
& die sterne selbst 1 stall ist
zu gut für die toten
Carina Nekolny
herbergasyl 7
asylkrippenherbergschub ho
ruck schieb an asyl die 3 kö
nige nach zeuta oder die peter
silinseln die spanischen die
die panischen 1 mauer in den
himmel 1 vogel im nichts
wie der schweifstern
Carina Nekolny
herbergasyl 8
bergstation berg
suchhundbergstei
ger her damit berg
& tal die suche
wer anklopft auf holz
klopft geht auf schub
& zack zelle weg
plattererdings
Carina
Nekolny
herbergasyl pamphlet 2
wirf das kind aus dem wagen aus dem fenster wirf es in einer
parabel damit es weit fliegt in schönem weil hohem bogen ganz still ist es wenn
nur der flugwind pfeift & wir morgen dann lesen vom kindsmord in betlehem
in wien oder sonst wo herodes auf den fersen der blutdurst’ge herrscher
horrorkönig auf seinem thron der kinderschlächter vatermörder tochterschänder
der das geworfene verworfene kind auffängt kinderretter menschheitsretter die
zeitungen voll wie die spenderherzen deren börse sitzt locker 1 licht 1
dunkelkind wie es sein soll caritas vanitas & agape zum schluss & 3
todsünden geschenkt im doppelpack die 1 rosenbeet vor eiswind schützen den tod
bannen bis himmel tauen den gerechten der herabregnet auf erden als asche als
herzkönig herzkind mit eselsohr & kamelhaar eingebacken im
weihnachtsstollen vom meisterbäcker in der wand
wientouristinnen.in form
projekt südseesehnsucht*
Carina Nekolny
nauru
21 km2 ist die insel nauru groß lang
& breit 21 mitten im pazifik meer
azur blau himmel licht blau sand so
weiß 21 km2 nauru inselrepublik im
pazifik vor australien wie praktisch
21 km2 flüchtlingsgefängnis 21 km2
internierungslager für asylanten &
strandgut nichts wert & schon gar
nicht in 1 welt der 1 der 1. welt dort
schon gar nicht/ 21 km2 im pazifik
rundum blau wie 1 traum & es kos
tet fast nichts jetzt wird es geschlos
sen das lager das auffang- das abfang
& einfanglager auf nauru
*Alle
Gedichte bzw. lyrischen Pamphlete der Autorin entstanden im Rahmen
von Performances des Lyrikerinnenkollektivs
wientouristinnen.inform 2008 |
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Clemens Hoffmann /
Berlin / *1975 |
|
(ZURÜCK) |
Clemens Hoffmann
Anästhetikum
Erinnerung als Cut-Up und Selbstschussanlage
Kontinuität durch Amnesie
Fold-In verstreuter Leichname am schraffierten Himmel
Spielplatz für Elendstouristen und Saboteure aller Art
Gepanzerte Mannschaftswagen verhinderter Lagerwärter
Hände und Gesichter noch blutnass vom letzten Gebet
Beim ersten Sprung in die Menge: ein Lied
Colour
to the world, spice up your life
Freiheit ist Kaufkraft unterm Hackmesser
Clemens Hoffmann
Ich
bin das dionysische Feuer
Schild
der Verdammten
Schwert
und Siegel weißgeklonter Attraktion
Der
Sternenlenker des Königs
Der
mein Sklave ist
Seit
dem zweiten Frühling der Rebellion
Ich
bin mein Mörder
Das
Gefängnis Freiheit
Kind
und Untergang der Guerilla
Ich
war Prometheus
Der
die Leber des Adlers fraß
Und
mit Ketten den Sohn der Göttin erwürgte
Am
kaukasischen Felsen
Ich
bin Sohn und Vater der Tyrannen
Die
sich die Hände waschen, einer dem anderen
Im
ausgebrannten Theater Welt
Materialschlachte
ich eure Utopien
Auf den Wortfeldern
von Verdurin
Clemens Hoffmann
Schrittweise
Durch die Trümmer vergangener Zeitalter
Wandle ich staunend
Ein Spaziergang
Hinweg über Jahrhunderte
Ich entfachte Revolutionen und setzte die Welt in Brand
Mit Mao trank ich nächtelang, ein grinsender Buddha als
Diener
Ich teilte Städte und ganze Landstriche als spöttisches
Nachtmahr
Der Geschichte von deutschem Geist und hoher Bildung
Ein Wink von mir vernichtete die Gefängnisarchitektur des
Sozialistischen Realismus
Während der Zeit meiner Schauprozesse gegen JeanJacques
Wählte ich Felix Austria zum Inquisitor
Bei den Festen der Vernunft knüpfte ich beide auf neben
Stalin
Und der Tod war ein Fenstersturz aus dem Prager Frühling in
das Vakuum von Stammheim
Im Handstreich sprengte ich die Embleme auch dieser
Gesellschaft
Während die Herrschenden der Jetztzeit ihre Abendgarderobe
am Galgen präsentierten
Hockte ich bei kokakauenden Bauern in den Anden
Und verhandelte auf aztekisch mit einem elektromagnetischen
Kriegsgott
Ich habe sie alle gekannt - Hamlet, Leonardo, Faust
Und verbrannte sie in einer einzigen ekstatischen Nacht
Auf das Knirschen der verkohlten Skelette aber baute ich
Bibliotheken
Im Schimmer dieser erschöpften Stille
Höre ich nun deine leisen Schritte
Auf dem Gang der Zeit
Willkommen, Geliebte!
Clemens Hoffmann
Wertschöpfung
Die Staatsarchitektur schwarz in der Morgenröte
Flache Strahlen in Milch
Absorption der Macht
Ich will Himmel sehen
Und nicht gläserne Sendboten
Unter den ewigen Gesetzen des Kapitals
Kleiner als Speer
Doch vergleichbar im Anspruch
Die globale Kulturkampfszene trifft sich
Drittweltschweißimprägnierte Uniformen
Im Sonderangebot bei H&M
Basecap ab zum Gebet
Lohn und Brot
Macht Würde
Und Arbeit
Macht frei |
|
Cornelia Travnicek Traismauer (A) / *1987 |
Letztes
Buch: „spannung spiel und schokolade“, Fließtexte, Edition Thurnhof 2009 |
(ZURÜCK) |
Cornelia Travnicek
und wenn jemand birken sagt
lieber doch die silbernen pappeln lieber doch
es geht wirklich nur um botanik
und wenn jemand rauchfang sagt
dann sollen wir nicht an ausschwitz denken
lieber doch die kaminfeuer lieber doch
und wenn jemand menschen sagt
dann sollen wir nicht an ausschwitz denken
lieber doch die unmenschlichkeit lieber doch
was will mir die ganze semantik
Cornelia Travnicek
die fremde legt mir
schützend die hand auf
die schulter
schwer wiegt im koffer
das nichts
meines vaters
ich trage nur mutters
sprache bei mir
und für einen tag noch
licht
Cornelia Travnicek
die dachlosen
noch nachtklamm im park
liegen sie zugedeckt vom
eigenen schatten
Cornelia Travnicek
wer die wahl hat:
alle
haben sie die wahl
nur dass
manche
mehr
zu wählen haben
als die anderen
Cornelia Travnicek
wahlkampf
vorher:
immer mal wollte ich
die morgensonne wäre grün und
erst um neun uhr
und dass
alle zäune weiß wären
wollte ich haben
man könnte tag und
nacht wenden
wegen der schlaflosigkeit
dass vögel mal
am rücken fliegen
was für ausichten
da wollte ich
man könnte öfter mal
die perspektive wechseln
einfach so
nacher:
die realität verändern
dass
lag nie in meiner absicht |
|
Eike Grauf / Stuttgart |
|
(ZURÜCK) |
Eike Grauf
entmietspiegel
inmitten einer wildnis aus fenstern und tueren
ein bett
die matratze ist ein blauer abgrund das laken
aus scheu
smogkissenversunken ein unterhand nehmender trabant
mondtot machen
von überallher die lustlos mampfenden augen der
trittschall-sniper
spucken auf trotzige herzkruemel kribbeln am blanken
schwarz geoeffnet
der letzten haeuser puls und in den fluren
des umgezogenwerdens
steht der verwohnungen sprachsperrmuell
Eike Grauf
eininseln
ich ufere
über in den wellen vorfindendem verlorengehens
azurne sonnen sickern in mir herab sommer schläft auf meinem
rapsgedankenfeld
ein
versenkendes marschlandlächeln schwimmt flüchtig in
den tränen hemmungslos
schluchzender schlachtbänke
Eike Grauf
kaputtgehen
wer
hat umgehend den
goldenen einsamen gesät
an
welchem
fixerwerden zerbarst der wasserfarbenfalter
wer
hat verloren
gehend den goldenen einsamen gesät
wer
zimmerte die särge
schon in die häuser
hat nebenhergehend
den goldenen einsamen gesät
wo
kommt das kommen
im an und wo das an im kommen
an
w
er h
at inm ic
h g eh
endd en golde ne
nein s amen g es
ät
Eike Grauf
laue witterung von bla schnee steigt in den augen durch
das herz aus dem mund auffrieren la zaehne nagelt
hagel
durch das pochen an die blicke eintauen au herzpfuetzen
stapfen durch die graupelaugen in den woerterwind ausblauen
tau
Eike Grauf
sch
wellen
sinken in arme
ab
genabelt von
zeit
entkernt blau
horizonte
lichtflusen splittern im
rabenlaub
befratzen
mondpranken
regenknorpel
grell†o†
an
windtrommeln rühren
traumwirbel
scherbenrot
kracht morsches licht
weg
legt sich um hälse
k…ö…r…p…e…r…c…h…e…n
nnenrenn
e
n
r
e
n
n
ennenrenne
n
ins
bodenlose türmen
nachbabelnde
sch
wellen
|
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Florian Strob / Oxford (UK) / *1985 |
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(ZURÜCK) |
Florian Strob
Am Ende der
Moderne
Wie immer: wundervoll
voll Wunder
MYSTIK-Kabinett
dort oben
(die Kondensstreifen)
Projektionsfläche?
Unio mystica: nicht
die Einheit mit GOTT
die Einheit mit
der Gesellschaft,
die als religiös
verstanden.
Und die Norm,
Normalität
als ein Beweis
der Einheit:
normierte Massen.
Man hört
nun überall:
keine
Souveränität
dem Individuümchen.
Wir Ästhetizisten.
Florian Strob
Ein Sommertag
Das Korn riecht als würde
es nun bald gemäht
sein und liegt
das Gelände hinab.
Die Lüftung des Stalls
surrt
herauf. My mind
ruht am Mittag vorm Wald.
Kein Wind. Nichts bewegt.
Und auf den Südbalkonen der Nordhalbkugel
wird es langsam
unerträglich.
Florian Strob
Revolutionswetter
Es sind diese schwülen Tage Ende Mai
– röntgende Blicke, stumpfer Sinn – ,
wenn die Alten kollabieren
und die Luft gebläht verharrt, alles
verweigert – tenue!
Ach, das meint, so meine ich,
an kühlem Stein gelehnt im Schatten
Schwüle Tage lesen, sowieso
mehr Keyserling.
Florian Strob
Briefe an die Gegenwart
1
Ein Mann, eben noch Angestellter
im schwarzen Anzug, tritt auf den Marktplatz, zieht
mit Kreide einen Kreis um sich und isst das Kopfsteinpflaster,
die Füllung des Kreises.
Nach dem Mahl bleibt er im dunklen Sand
des Untergrundes hocken.
2
Wie Leichen in der Pathologie liegen sie auf dem heißen Sand
der Bucht, ausgerichtet zur Sonne und zum Meer.
Erstarrte Körper im Angesicht des Gottes, den sie
in ihrer Regungslosigkeit unter dem Wind
des Mittelmeeres anzubeten scheinen.
Auch ich biete mich der Sonne und dem Meer an.
Auch ich erwarte im Rauschen der Brandung, die den Strand
immer wieder hinauf kriecht, dass die salzigen Wogen
die steifen Körper bedecken
und mit sich in die Tiefe ziehen.
Ein Schlund das Meer, die Brandung ihre Zunge
und der leere Strand
ein blanker Teller gestreift vom Wind.
Geduldig werden die nächsten Körper
das Gleiche erwarten. Mit tausend leeren Augen
werden die Hotels den unausweichlichen Vorgang
weiterhin beobachten.
3
Ihr Schreiber, ihr Menschen,
das sind fünf Akte:
Wir im momentanen Leben,
da ist soviel mehr und anders als der Moment: – Gegenwart,
die mehr ist als gestern und heute, morgen und die Tage
danach!
Gegenwart, in der wir nicht von Genen gesteuert, flexi-
bilisiert und ruhig gestellt sind!
Wann wacht ihr nur auf
aus eurer Lethargie und Todesstarre?!
Wem seid ihr hörig, wenn sich der Protest
vermarkten lässt? Wo ist freier Wille?
Und es führt – ob gut, ob schlecht – wie jeder weiß
immer zu katastrophé.
4
Diese aggressive Leere, das Schleichen der Minuten.
Und dann Wut, unbegründete, aus dem nichts kriechende,
elende, dumme, dumpfe Wut.
Und der Wunsch das Klavier zu zerschmettern,
mit der Axt den Schreibtisch zu zertrümmern und jedes Wort
zu verbrennen.
Verschenke deinen Stift und das Papier an jemanden,
der wirklich schreiben kann.
Jedes Wort ekelt mich an.
Verbannung der Sprache, der unzulänglichen
mit dem doppelten Boden.
5
Wir sind alle
auf unsere Art
Extremisten. Verstehen, begreifen? –
Eine Illusion.
In komplexer Zerrissenheit sind wir,
jeder für sich, immer wieder
eins und unteilbar und extrem.
Lebendes Paradox: das ist ein Mensch!
Und nur Versuche,
ihn zu erfassen.
Florian Strob
Denkt noch jemand
an den Maurergesellen
verblutet an die Mauer
gekauert unter den schielenden
Augen der gespaltenen Welt
an die ertrunkenen
Kinder im Grenzfluss
Schwellenwesen, nicht
schwimmend
an W. Freudenberg
in seinem tollkühnen Gefährt
aus Frühbeetfolie und Gas
gestürzt auf den Teufelsberg
nie gelandet, am 8. März 1989
an Kain und Abel
Brudergerede
an Meinland, Deinland
Keinland
an Lagerwände für Stallmist
feindwärts getürmt, freundwärts
verrückt
an buddhistisch geharkten
Kontrollsand für Fußspuren
im zu beschießenden Kader- und
Köderstreifen
an Menschenschmuggelwagen
hinterm Schutzwall gestaut
vielleicht antifaschistisch
vor allem aber
sehnsuchtsvoll verzweifelt
an all die Einzelnen
die anrannten gegen
das Verdrängte
standen
gegen das System
denkt noch jemand
an die 136
an die Grenzen in den Köpfen
an die gefälschte, verbotene
Erinnerung, beidseits:
jetzt vermuten sich
viele ein Ideal
im Vergangenen
und schauen nicht dem Vergangenen
ins Amöben-, ins Astronautenauge
jetzt
da der Palast
der Leere
und die Leere bald
dem Palast (der Leere)
weicht:
Fülle der Leere. |
|
Gerhard Rombach/ Sollentuna_(S)/ *1931 |
Letztes Buch: "In uns", Lyrik, Geest-Verlag, Vechta-Langförden2008
ISBN
978-3-86685-123-8 |
(ZURÜCK) |
Gerhard Rombach
1.
Nahostkonflikt
Sie schufen jeder einen Gott
Unbarmherzig
Grausam und
Fanatisch
Wie kann da jemals
Frieden werden?
Gerhard Rombach
2.
Die Wiege der Menschheit
Immer wieder Nachrichten
Über unmenschliche Gräueltaten
Afrika, Balkan, China und
Immer wieder Afrika
Hier stand die Wiege der
Menschheit
Von hier breitete das Übel
Sich aus über die Erde
Gerhard Rombach
3.
Der deutsche Gruß
Damals als Eintopf
Höchste Mode war
Damals als wir den
Arm hoben zum Gruß
Wie der Hund das Bein
Damals gab es noch keine
Neonazis
Gerhard Rombach
4.
Nicht dein Universum
Wenn sich
Deine Auffassung von
Recht und Gerechtigkeit
Nicht mehr mit
Geltender Praxis
Decken will
Wenn du der Meinung bist
Es sei wichtiger
Im eigenen Land
Ordnung zu schaffen als
Fremde Diktaturen
Zu unterstützen
Wenn du
Davon überzeugt bist
Dass die Menschheit
Verroht ist
Und Fernsehen
Verdummt
Wenn du
Politiker seien
Gewöhnliche Menschen
Die versuchen zu halten
Was sie versprechen
Dann pack deine Koffer
Und gehe -
Dies ist nicht dein Universum
Gerhard Rombach
5.
In seinem Namen
In seinem Namen
wird gebetet
in seinem Namen
wird geschändet
geheiligt sei sein Name
Solange Menschen
Gottes Wort
für ihre Zwecke deuten
sind Engel in Eisen
das Sinnbild unserer Zeit
Hass kennt keine Grenzen
|
|
Hajo Fickus/ Wangen im Allgäu/ *1955 |
Letztes
Buch: „selbst. eigenes (gelbe rosen)“; books on demand, 2009
SBN
978-3-8370-3633-6 |
(ZURÜCK) |
Hajo Fickus
die
kinder von heute
die kinder von heute
ernähren sich falsch
und verhungern dann oft
zu tausenden
die kinder von heute
sind zu unaufmerksam
und treten dann oft auf eine mine
die ihnen die beine wegreißt
die kinder von heute
sind schwächlich und verwöhnt
oft schon von geburt an
mit aids infiziert
die kinder von heute
haben viel zu frühen sex
aber von irgend etwas
müssen sie ja leben
die kinder von heute
sehen zu viel gewalt
wenn sie
vor die türe gehen
die kinder von heute
wählen die falschen berufe
denn kindersoldaten
haben nun wirklich keine zukunft
Hajo Fickus
diese
ordentlichkeit der trümmer
diese entsetzliche
ordentlichkeit der trümmer
auf den alten bildern vom kriegsende
ziegelrest auf ziegelrest
backstein auf backstein
die straße peinlich sauber gekehrt
vom schutt
dieser versuch
das chaos noch einmal zu bändigen
das ende einfach zu ignorieren
rührt mich
und macht mich
wütend
Hajo Fickus
ertappt
schon längst
abgestumpft
von millionenfachem
sterben
warten wir
auf den beginn
eines neuen krieges
welchen frieden
er bringen soll
ertappen wir uns manchmal dabei
der arroganz der macht
einen nicht ganz
sieg
zu wünschen
Hajo Fickus
Ich
sehe dich
in den kellern der stasi
verrotten langsam deine geruchsproben
ich
sehe dich auf meinem monitor
schau
dich nicht um
du findest die kamera nicht
die cia liest deine e-mails mit
amazon verwaltet deine bibliothek
ich sehe
dich
immer
und überall
das fbi beobachtet deine reisen
der bnd zählt die weinflaschen in deinem müll
ich sehe
die schweißperlen auf deiner stirn
sehe den
inhalt deiner brieftasche
die kripo amüsiert sich
über die pornos auf deiner festplatte
ich sehe
das zittern deiner hände
sehe die
erektion in deiner hose
dein arbeitgeber kennt deine vergangenheit
und dein blutbild
aldi kennt deine lieblingsschokolade
und deine krankenkasse kennt sie auch
ich sehe
dich wie unterm mikroskop
nackt
bis auf die poren
ich seh
dir ins hemd
und
unter die haut
ich seh
dir in den kopf
und ins
herz
ist es nicht schön
dass uns alle
um dich kümmern
Hajo Fickus
katharina
blum hat geheiratet
katharina blum hat günter wallraff geheiratet
bald nach ihrer entlassung aus dem gefängnis
sie drehen jetzt zusammen einen pornographischen
film über die siebziger jahre
und machen dann eine quizshow bei rtl
oder bei arte
typisch
schreibt die bildzeitung |
|
Hanna Fleiß / Berlin / *1941 |
|
(ZURÜCK) |
Bild
des Menschen
Auf
das Sonett von Johannes R. Becher
Wir, Heutige, weit entfernt
Von jenem Bild, das du im Traum
Dir einst vom Menschen
Maltest.
Niemand bekennt: Verloren
Die Menschenwürde. Bezahlt, abgefunden
Das Vergessen. Kein Aufspringen,
Kaum Aufschrei: „Nie mehr!“
Sie führn wieder Kriege. Die Todmüden
Auf der Suche nach Brot und Dach. Der Kranke,
Der Alte, der Arbeitslose – Parasiten.
Und die Gewinne? Steigen.
Aus allen Ecken kriecht
Gelichter. Die alte, junge Brut wagt sich
Ins Helle. Und Polizisten schützen
Hakenkreuzler.
Wieder einmal. Du weißt, es hilft
Kein Kasteien. Du greifst durch die
Wände, du spürst, uns müssen wachsen
Tausend, Millionen Hände.
Hanna Fleiß
Fliegendreck
Morgens,
Mit grau gewelkter Schläfe, lärmte
Die Stadt. Einer ging ruhlos,
Er hatte sich selbst
Verloren.
Er traf das
Gewöhnlich Gewohnte,
Fürchtete, bleiben wird es. So.
Die Knöchel wundgeschlagen an Türen
Der Hoffnung, Seele und Feuer erloschen.
Kraftlos die Hände, der Mann
Fliegendreck im Treibsand des Tags.
Sein Schattenblick.
Die Stadt tobte. Abends
Warf sie den Kopf, schüttelte
Ihr öliges Haar aus dem Pockengesicht.
Und hinter Neonlächeln,
Schmerzlichem Glanz, in tiefster
Schwärze, hockte des Mannes
Nacht.
So vergingen Stunden, so
Vergingen Tage. So
Lebte er fort.
Hanna Fleiß
Heinrich
Mann
Übern Ozean
Geholt die Totenasche des Dichters.
Wind trug sie, Wind aus Feuern,
Behütend, heißen Sinns.
Der Ruhelose. Der mit der
Verlorenen Furcht, der mit dem
Großäugigen Blick, der Zergliederer.
Der die Dinge benannte,
Wie er sie sehen
Musste.
Tritt näher.
Es spricht Henri. Leg
Deine Hand auf die Stele, du spürst
Es klopfen, Lavagestein aus dem
Herz unsrer Erde.
Wie kalt es ist. Unterm Schnee
Ewiges, letztes Warnen. Die eine
Lebendige Nelke, rot blüht sie
In deiner Hand. |
|
Harald Birgfeld / Heitersheim /*1954 |
|
(ZURÜCK) |
Harald Birgfeld
Ich
hatte einen Schreibbrief zu verlesen
Auf dem
Vorplatz stand die
Menschenmenge, die sah ich von oben als ein flaches
Bild,
Von allen Seiten als den vierfach aufgeklappten
Wandschirm,
Der umstellte mich,
Ich sah sie auch von unten, sah die
Sohlen tausendfach auf meinem
Kopf,
Ich hatte einen
Schreibbrief zu verlesen,
Der erreichte alle wirklich überall,
Und, was ich sprach, blieb völlig unverstanden,
Und ich las doch nur die
Bilder vor, die ich hier fand,
Von oben, unten, allen
Seiten.
Als ich vor der
Auffahrt stand, war sie zu steil,
Ich wusste nicht, sie zu bewältigen,
Und wickelte den
Zweifel in die
Zeitung ein und warf sie in den
Graben,
Und es nützte nichts,
Und niemand kam zu helfen,
Und ich wusste nicht einmal, wohin der
Anstieg führen würde
Und ging wieder heim.
Auf dem
Bahnhof stieg ich wahllos in den nächsten
Zug, der fuhr nicht ab
Und gab ganz ohne Grund
Asyl,
Und wies nicht einen ab
Und hatte doch kaum
Aufenthalt.
Harald Birgfeld
Dieser
Tag war ganz genau wie jeder andere
Die
Mittagsstunde kam als stille
Wolke auf mich zu, die ich genoss,
Die
Ruhe hing in Bodennähe
Und war weit verbreitet,
Und die schwarzen
Punkte einer Tageszeitung fielen als ein
Ascheregen in die
Spur, die zu mir führte,
Ein betretner
Weg, den ich zurück würd gehen müssen,
Und die weißen
Beeren, die am
Bahndamm meiner Reise wuchsen,
Schossen als ein
Schneegestöber, an dem
Zug, in dem ich saß,
Vorbei.
Dieser
Tag war ganz genau wie jeder andere,
Und gestern war für mich schon heute morgen
Oder wie man immer dieses
Wortspiel drehen wollte,
Und ich schrieb an dich die
Nachricht, die ich heut bekam,
Und sandte sie, weil ich mich nicht verstand,
Zurück an mich.
Ich wickelte ein
Farbenband um meine
Stirn,
Es färbte sehr,
Es drang mit seiner
Farbe unter meine Haut,
Verfärbte mich nun innerlich
Und einheitlich,
Ich kannte mich in mir bald nicht mehr aus,
Und alle Schnitte, die mich teilten,
Zeigten mich so völlig farbengleich im
Blut. |
|
Hilde Hack / Köln / * 1955 |
|
(ZURÜCK) |
Hilde Hack
geb.
1955
Wir haben geraucht
wir haben getrunken
haben permanent nach
Kneipe gestunken
Die Idylle verlassen
das Eichenbuffet
Stunden, Tage
im Straßencafe
Dem Reihenhaus aus
der Reihe getanzt
Bäume nur im Kibbuz
gepflanzt
Die Mensa, wichtigste Fakultät
Essen I oder II
die Mark rumgedreht
fürs Rauchen entschieden
Völker vereint
niemand gemieden
Biafra beweint
am Mensa-Tisch
Integration
Nationengemisch
Mit Interrail
durch Europa gehuscht
gepennt im Bahnhof
selten geduscht
Gepäck ein Rucksack
in Nato-grün
Schlafsack vom
großen Bruder geliehen
5 T-Shirts, 2 Jeans
davon eine verschenkt
man teilte, man nahm
sich an nichts gehängt.
Der Sommer war
8 Wochen zu lang
Hellas Sonne bestach
kaum Drang, gar kein Zwang
Sirtaki hieß
unser Lebensrythmus
man tanzte, man fiel
flog wie Ikarus
die Flügel aus Wachs
gescheitert am Licht
an Unmöglichkeiten
glaubten wir nicht
Denn nachts gelang alles
zumindest verbal
geredet, geschrien
bei Kerzenlicht fahl
wie morgens die Haut
zum Kaffee im Zelt
erste Kippe verdaut
Waren wütend vor Liebe
beliebten den Hass
beachtet gemieden
Gesellschaft kein
Spass
Erkämpften Rechte
wer weiß noch für wen
bekämpften die Rechten
auf Demos zu gehen
war erste Pflicht
doch niemals vermummt
man sollte ihn sehen
den Zorn im Gesicht
der nicht verstummt
Ließ Semester verstreichen
gewonnen, vertan
wollten Wandel erreichen
den Rüstungswahn
das Sein war was zählte
das Haben nicht viel
Unser Vorbild Joan Baez
das Ideal Utopie
für Liebe und Glück
wir hatten den Mut
denk gern dran zurück
wir waren verrückt. |
|
Holger Ziegeldecker/ Gnarrenburg / *1958 |
|
(ZURÜCK) |
Holger Ziegeldecker
Leise Wut
Wenn man Geld, was
man nicht hat,
rigoros verprasst,
kommt man als
Privatperson
sofort in den Knast.
Bei den Bankern ist
das anders,
die unser Geld
verwalten,
die können nach
Millardenschulden
ihre Jobs behalten.
Der Steuerzahler muß
ja bluten
und die Verluste
tragen,
der Bankmanager
grinst nur frech
im eit’len Wohlbehagen.
Früher herrschten
andre Sitten,
da wurd geteert und
auch gefedert,
Verräter aus dem Land
gejagt,
gevierteilt und
gerädert…
Der Sparer sitzt in
seiner Kammer,
die nächste Pleite
wartet schon,
wo bleibt der
Aufschrei aller Bürger?
Endlich die Revolution?
Der Deutsche ist dazu
nicht fähig,
er hat das Kämpfen
ganz verlernt,
er wird als braves
Schaf geschoren
und hat vom Aufruhr
sich entfernt.
Doch tief im Innern
brodelt es,
da schwelt noch etwas
Glut!
Die Regierung sollte
nicht verachten
des braven Bürgers
leise Wut!
Holger Ziegeldecker
Staatliche Hilfe
Du arbeitest von früh
bis spät
für Miete, Strom und
Essen,
doch auch mit drei
1-Euro-Jobs
die Kosten dich
auffressen.
Du möchtest nur ’ne
kleine Hilfe,
damit du nicht
verhungerst,
doch der Beamte ist
der Meinung,
dass du nur faul
’rumlungerst!
Dabei sitzt er bequem
im Sessel
im viel zu warmen
Zimmer,
üb’re Tür ’ne grosse
Uhr
und darauf schaut er
immer.
Vier Brötchen liegen
angebissen
gehäuft auf einem
Teller,
der grosse
Kaffeebecher dampft,
seine Zeit vergeht
nicht schneller.
Schwerfällig langsam
müht er sich,
füllt Formulare aus,
sieht dich an als
Schwerverbrecher,
du schleichst
beschämt nach Haus.
Holger Ziegeldecker
Arbeitsmarktportal
Deutsche Firmen
wandern aus –
vorbei ist der
Gemeinschaftssinn –
investier’n in
Billigländer
und jagen gierig nach
Gewinn.
Wer zurzeit wird
arbeitslos,
der führt ein
schweres Leben,
denn in diesem
uns’ren Land
wird es kaum Hilfe
geben.
Stehst du beim
Arbeitsmarktportal
vor dem
Anmeldekasten,
siehst du sofort ’zig
Beamte,
die durch die Gänge
hasten.
Der eine trägt seinen
Kaffee
und zweie eine
Zeitung,
drei gehen nur
alleine so
und viere in
Begleitung.
Aufgabe deutscher
Beamter ist,
dass sie Arbeitslose
verwalten,
denn nur wenn die
Statistik stimmt,
könn’ sie ihre Jobs
behalten!
Du bekommst nur
Formulare
mit hunderttausend
Fragen,
damit du den Gedanken
hegst,
dem Antrag zu
entsagen.
Ist deine Wohnung dir
zu kalt,
so gibt’s noch
Kohlezechen,
und wenn der Hunger
zu doll plagt,
dann gehe
Spargelstechen…
Holger Ziegeldecker
Wahlen
Die Steuer steigt von
Jahr zu Jahr,
trotzdem – der Staat
macht Schulden
und schmeißt das Geld
zum Fenster ‘raus!
Kann das der Wähler
dulden?
Der Wähler geht brav
hin zur Urne,
damit bloß keine
Stimme fehlt,
um dann im Nachhinein
zu sagen:
„Die da hab ich nicht
gewählt!“
Von wem kommen dann
die Stimmen
für die Partei, die
keiner will?
Keiner findet die
Erklärung,
da bleibt die
Wählerstimme still.
Es hat sich vieles
hier verändert,
in Deutschland wirkt
so manches fremd,
doch noch bleib’ ich
der Heimat treu
in meinem dünnen
Armutshemd... |
|
Horst Jahns / Nürnberg / 1957 |
Letztes
Buch: „Paris
- Lyrische Stadtbilder“, Frieling Verlag Berlin, 1992 |
(ZURÜCK) |
Horst Jahns
Entschlagen den Mienen von Stein springen Funken ins Gedankenstroh
dreschender Drittreichsverweser: Knisterndes,
leise gesagt hinter
vorgehaltener Unsäglichkeit. Windsäer würzen
die Luft mit Parolen. Mit
vergoldeten Wurzeln (um über zwölf Jahren
Fäulnis den Stand zu bewahren)
wehrt sich die Stadt, wartet auf mit Betenden
Händen und
Malern im Pelzrock. Im Digitalzoom suchender
Besucher gewichten
Waagschalen den Umsatz von länger her
gewährter Sinnverbundenheit.
Indes, was Blicke nicht begreifen (was
offenen Augs nicht zu
fassen ist) heilt im Profanen: angeschaut mit
Augen nach dem Vorbild
der Schönheit bedeckt weltliche Einfalt, die
sich an Kunstvollem
reibt, die alten Wunden im Geist. Ins Heute
gewendet könnten wir
sagen: Gegenwart eines Verlorenen klingt
wahrscheinlich anders
als ein vergängliches Jetzt. Doch was wahr
gewesen ist im Guten
wird möglicherweise
bestehen. Und bezeichnen, was war. Trotzdem.
Horst Jahns
Historiographisch
Wenn einst, um Klärung bemüht, das, was mich
zeichnen wird,
Rückblick gewinnt auf die Zeit, die jetzt
war, fällt die Schwingung
solcher Bestimmung ins Weiche. Gerüchte von
Schuld, gebietsweise
fremder, ätzten Gier ins Datenbrevier
vertierter Rohlingsverwalter.
Rekurrierend auf Börsenbibel und Psalter
zahlte noch jeder drauf,
bevor er dito ging. Daxe flohen den Auf-Bau,
vormals aus deinem
und meinem Kleingeld errichtet unter Verzicht
auf Sichtung, wenig
Gewichtung auf Kleindruck im Kontrakt plus
Zinsruck im Abwrack
des Kontos. Augäpfel rollten unters Gezweig
der Versprechen:
win-win-geschönte Verbrechen trieben Blüten
zeitnah am Stamm
noch jeden Kapitals. Verfüglich optional.
Checkte natürlich keiner.
Es kam gemeiner: beleckte Notenleser schmeckten
den Aufrieb
von Bündeln, stiere Mündel ließen ihre
Vormünder zündeln. Gab
denen, die ' s hatten, Auftrieb, pflasterte
ihren Aufstieg und sicherte
ab gegen Ausrast und Abschrieb. Was viele
nicht hatten hernach
war dem Wert nach ein sattes Plus links vorm
Komma. Komatöses
Gedöns. Gefallene ließen fallen. Und fanden
Gefallen an Fallobst:
fällig zum Spottpreis im schrottweisen
Abwurf. Was die Welt fahren
ließ, war Gefahren-Mief. So wollte Aufschwung
erschnüffelt sein:
mit dem Instinkt eines Trüffelschweins tief
im Bankhaus-Dung
wühlen, fühlen, wo ' s stinkt und, was
kursorisch sinkt, horten.
Verorten an Plätzen mit strengem Geheimnis,
noch frei von Aufsicht
und Ehrgeiz im Mahnwort-Sport. Gegeben?
Gebrochen?
Trüffelschwein, das
ich hinfort war, hat' s noch stets gerochen.
Horst Jahns
Hätte nicht Zeit mich vergessen, vergangen
war zeitig ein Sonntag im stillen, nicht
leise,
die Hand vor dem Mund, hätten Finger,
behaarte, nicht Stille gezeitigt, in diesem
Verstreichen hätte kein Licht sich versenkt
in den Schatten der Hofwand so dunkel
die Tropfen die Steine so heiß, es brauchte
kein Fenster sich schlafend zu stellen, denn
da wollt' keiner rufen und zusehn, es mochte
kein Wort und kein Laut sich verlieren,
und wenn, läg' ich lange schon still.
Horst Jahns
Entfernte
Nähe
Gefallen aus allen Gedanken sitzen die Alten
im Licht ihrer Rückschau:
Dunkles zu sagen im Vorgriff der Worte, die
sie nicht finden. Nicht mehr
wie früher gelingt ein Liebkosen von Bildern:
gezeichnet vom Gelbstich
der Nachkriegsepochen. Von Wimpernschlägen
geschreckt steifen Stare
ihr graues Gefieder. Verwandte Wangen, die
uns entblößen, verwenden
sich für einen Zuschlag von Glück: Sorgfalt,
in jede Falte gelegt, kämmt
Stirnen zurück in helleres Weiß, das sie
deckt. Und Jahre der Zärtlichkeit
steigen im Blick, bewässern verlorene Felder
im Osten des Herzens. Hände,
von Jahren der Arbeit gekrümmt und an diese
geklammert, greifen
ins Leere. Mal für Mal versetzt auf dem
Jahrmarkt des Lebens, diese ehrliche
Haut: Pergament, um Zitterfinger gespannt,
hin und wieder bedacht
mit dem Siegel speichelnder Münder, dem
Enkelstolz jüngerer Zeit. Im
Raum, der Entsinntes nach innen kehrt,
verliert sich Gewußtes: entfernte
Nähe von Stunden, entsorgt mit Augen: bewußt
und in unserem Sinn.
|
|
Kai Pohl / Berlin / *1964 |
Vorletztes Buch: „Öffnen + Schießen.“, Gedichte 1989–2006, KRASH
Neue Edition, Köln 2007 |
(ZURÜCK) |
Kai Pohl
metrum
das frau
enklo im
kanzler
amt
zeigt er
ste set
zungs
risse
die
luft
ist blau
vom duft
der macht
u. vom ge
stank nach
pisse
Kai Pohl
arm
und reich
in einem armen land
ernähren die kinder die alten
in einem reichen land
ernähren die alten die kinder
in jedwedem land
ernähren die armen die reichen
die armen beklauen die armen
die reichen beklauen die armen
was reichtum genannt wird
bereichert die reichen und
läßt die armen verarmen
das unvermögen der armen
ist das vermögen der reichen
das vermögen der armen
ergo ihr reichtum
begründet das ende der armut
Kai Pohl
Wenn
das Blut auf den Straßen klebt1
nach Dante Alighieri, Volker
Braun, Friedrich Hölderlin u. Mark Mobius
dein asyl,2 das du nicht
zahlen kannst –
laß, wenn du einkehrst, jede rechnung fahren3
und rings im feld,4 wo
ackermänner5
den nachrichten hörig, die saat verplempern –
trag ihnen nichts nach, zahl es ihnen heim u.
falle ab vom glauben, der nicht satt macht
eh du dein brot aus ihrem abfall liest
bdi6 u. anderem kruppzeug7
erwachse zum lohn selbstreflexion
den gläubigern sei ihr glaube geschenkt
u. für den kleinen hunger zwischendurch
serviere ihnen die midas-lektion8
wenn mob u. piraten
das jobcenter entern
den rattenschwanz kappen
mit der ordnung aufräumen
wenn nach dem fest die fässer leer
u. die
kassen
laß, wenn du einkehrst, jede rechnung fahren
1 »Die beste Zeit zu kaufen ist, wenn das Blut auf den
Straßen klebt.« Mark Mobius,
Fondsmanager, im Dokumentarfilm Let’s Make Money, Österreich 2008,
Regie: Erwin Wagenhofer.
2 »Dein Eigentum auch,
Bodenloser / dein Asyl, das du bebautest«: Anfangszeilen
aus dem Gedicht An Friedrich Hölderlin von Volker Braun,
ersch. in
Gegen die symmetrische Welt, Halle/S. 1977, S. 18.
5 Josef Ackermann (*1948), schweizer. Manager, seit
2002 Vorstandschef der
Deutschen Bank.
8 Midas, Sohn des Gordios und der Kybele. Über seine Gier u. Dummheit gibt es
etliche antike Anekdoten: Um so weise wie Silenos (Sohn des Hirtengottes Pan o.
des Hermes u. einer Nymphe) zu werden, glaubte Midas, es genüge, ihn zu fangen.
Er stellte ihm eine Falle, indem er einer Waldquelle Wein beimischte, aus der
Silenos trank u. berauscht einschlief. Dionysos, der seinen alten Lehrer
vermißte,
mußte dem König für dessen Freigabe einen Wunsch erfüllen. Midas
wünschte sich,
daß alles, was er berühre, zu Gold würde. Der Wunsch wurde ihm
gewährt. Doch da
ihm nun auch Essen u. Trinken zu Gold wurden, drohte ihm der
Tod durch Hunger
o. Durst. Deshalb bat er den Gott, die Gabe zurückzunehmen.
Dionysos riet ihm, im
Fluß Paktolos zu baden, auf den dann die Gabe überging,
so daß er zum
goldreichsten Fluß Kleinasiens wurde. |
|
Kerstin Preiwuß / Leipzig / 1980 |
Letztes Buch: „nachricht von neuen sternen“, 2006 |
(ZURÜCK) |
Kerstin
Preiwuß
You Are On Indian Land
Warum tragen sie ihr Leben auf ihren Fingernägeln?
Cochise von den
Chiricahua-Apachen
See them prancing
They come neighing
They come a horse nation
See them prancing
They come neighing
They come.
I.
Und sie redeten miteinander und tranken Tischwein
Und sie reichten einander die Hand
Und sie setzten sich auf ihre Decken
„Nu, Zivilisten, ihr seid wohl neu im Hobby?“
Es war die Indian Week der ostdeutschen Indianerfreunde,
(genauer noch: der Indianisten)
Zwei Mädchen reiten vorbei
Es gibt Steakhäuser und Saloons, auf Industriebrachen weiden
Bisonherden
Eine Straußenfarm gibt es und einen
Elefanten-Überwinterungsplan
Drei Wolfsrudel, das vierte wird heimlich gejagt:
Young Wolf lief durch Wittichenau. Er war blind und hatte
sein Rudel verloren.
Er war an den Menschen gewöhnt, wahrscheinlich hatte ihn
einer verdorben.
Sie gaben ihn erst in den Zoo. Dann schläferten sie ihn ein.
Sie kannten das aus Buffalo Bill’s Wild West Show:
Die Zirkusse Busch und Sarasani,
auch Carl Hagenbecks Tierpark
zeigten Indianer aus Nordamerika,
den Indianer Black Elk und seine Gruppe Dakota.
Black Elk starb während der Tour.
Er wurde auf dem katholischen Friedhof von Dresden begraben.
Das waren die einzigen echten Indianer außerhalb Amerikas.
Die Datschen tragen Namen wie Sheriffs Office, Red Light
District und Justice of Peace
Jedes Mitglied hat ein eigenes Häuschen
Die Mitglieder heißen Powder Face, Red Mokassin und Crow
Chief.
Dies ist die Indian Week: eine Woche lang mal keine Türken.
Red Mokassin ist der aktuelle Häuptling.
II.
Powder Face kehrte nach der Kriegsgefangenschaft in seine
Heimat zurück
Er wurde 1914 geboren und meldete sich zur Front. Dort geriet er in sowjetische Hand.
Daheim war die ganze Tracht verbrannt. Das war in der
Dresdner Bombennacht.
Sie trafen sich später in Hüttners Drogerie.
Sie waren nicht zu begeistern für sibirische Felljäger.
Sie waren die Kulturgruppe Indianistik „Old Manitou“
und Powder Face, der erste Häuptling der DDR.
Schon Friedrich Engels lobte die Indianer
in seiner Schrift über den Ursprung der Familie, des
Privateigentum und des Staates
hieß es über die Verfassung der Irokesen:
Für Sklaven ist noch kein Raum, kein Stamm hat sich ergeben
Alle sind gleich und frei – auch die Weiber.
Hier wäre man gern Wahlsohn, als Kind hat man Blauvogel
gelesen. |
|
Kristiane Kondrat / Augsburg / *1938 |
Letztes Buch:“ Vogelkirschen“ – Kindheitserinnerungen, Bachmeier
Verlag, München, 2000 |
(ZURÜCK) |
Kristiane Kondrat
DIE EINE HAND
hat eine andere gewaschen,
denn sauber wähnt am längsten,
wenn die Tage lang,
trotz kurzer Beine
und der Morgen schon
hat keine Stunde Gold
doch anderes im Mund
und an der Börse
Eine kranke Schwalbe
bringt lange keinen Sommer:
Alle Spatzen singe es vom Dach,
während die bunten Kühe
meiner Heimat wiederkauen
auf bunten Ansichtskarten
Grüße von daheim
und Bauernmädchen
gehen mit dem Kruge
so oft zum Brunnen
bis er endlich bricht:
Der neue Besen
fegt die Scherben weg
Kristiane Kondrat
DIE LETZTE UMFRAGE hat ergeben,
dass wir irgendwo sein müssten,
wenn man nach uns fragen sollte,
dass der Bahnhof hier bleiben sollte,
wenn Züge abfahren müssen,
dass jeder von uns eine Ausnahme sei,
die die Regel bestätige,
dass jeden Tag Gebrauchsanweisungen
dechiffriert werden müssen,
dass Hanswürste ernst genommen werden wollen,
und Täter nur dann zum Tatort zurückkehren,
wenn sie wiedergewählt werden
Kristiane Kondrat
DIE WELTWORTSCHAFTSKRISE ist beendet,
all die Definitionen erübrigen sich:
vom Recht des Erstgeborenen,
dem des ehrlichen Finders
und dem des Erfinders,
der es an den Zweitgeborenen
verkauft hatte
Und Recht als solches,
weil rechts und links
austauschbar sind
in der Spiegelschrift der Zeit:
Man hat für jede
zwischenwörtliche Beziehung
einen Menschen erfunden,
der dafür steht und fällt:
Fällt der Begriff,
so fällt auch
der dafür bestimmte Mensch,
der den Begriff genau
bezeichnen soll.
Kristiane Kondrat
Ein
Vaterland
Die fliegenden Händler fliegen nicht,
die hängenden Gärten hängen nicht,
der springende Punkt springt nicht,
ein Irrgarten ist kein Garten der Irren,
eine Windhose keine Hose im Wind.
Ein Vaterland ist nicht das Land des Vaters
und auch kein Land von Vater geerbt,
ein Vaterland ist ein Begriff
wie fliegende Händler, hängende Gärten,
ein Vaterland ist Windhose und Irrgarten:
Das ist der springende Punkt
(Der
Text ist in der Kultur-und Literaturzeitschrift “Spiegelungen” Nr. 2,
2007
erschienen)
Kristiane Kondrat
Winzig
kleines böses Lied
Die Winzigen fühlen sich niemals klein,
die Mundschenken fühlen sich Mund,
die Schmutzigen aber wähnen sich rein,
die Eckigen geben sich rund
Die Händedrücker drücken die Hände,
Sprechblasen steigen und platzen,
es biegen sich Balken, es staunen die Wände,
unverbindlich lächeln die Glatzen |
|
Leander Sukov / Berlin / *1957 |
Letztes Buch: „Perlensau - ausgewählte Gedichte“
Kulturmaschinen-Verlag, 2009,
ISBN
978-3-940274-06-9 |
(ZURÜCK) |
Leander
Sukov
Furcht
Ich
fürchte mich
vor
Euch
das
macht mich stark
die
Worte
hohl
in
den Raum geworfen
habt
Ihr die Bomben
Hohlkammergeschosse
Kollateralschaden
bin
nicht
nur ich
hab
keine Fragen mehr
an
Euch zu richten
ist
ohne Sinn
sind Eure
Kriege
nie
geführt
glaubt
Ihr wird
der
Gegenschlag
sind
ja noch nicht
gelegte
Feuer
in
Vorstädten und
Bundeswehrdepots
brennt
es nicht kalt
genug
um Eure Höllen
zu
vereisen
Leander
Sukov
Warm
ums Herz - Kalt im Land
Wenn
die Vorstädte brennen,
wird
mir warm ums Herz.
Die
Punks auf dem Marktplatz
erhöhen
mein Sicherheitsgefühl.
Das
einzige Braune, das hier brütet
sind
die Spatzen.
Meine
serbischen Nachbarn
kommen
gut aus mit den polnischen.
Oben
links hört jemand Strassenjungs.
Der
kurdische Bäcker backt das Brot.
Die
Mischung stimmt.
Wenn
die Städte brennen,
wird
auch wieder gelöscht werden.
Es
kommt darauf an,
wer
den Brand legt
und
wer die Feuerwehr ist.
Noch
ist es kalt im Land.
Leander
Sukov
Die Ämter
Auf
den Amtern
allgemeiner
Frieden
In
Schlangen stehen bewacht
Bittsteller
nach Almosen an
In
den Amtszimmern betteln
Aussätzige
nach
Lebensgeld
In
den Briefkästen
finden
sich Bescheide
An
den Türen läuten
Kontrolleure
Auf
den Ämtern
allgemeiner
Frieden
Die
friedensstiftenden Maßnahmen
werden
unterstützt durch
die
Kriegsberichterstatter
Bild
Dir ein schönes Leben ein.
Die
Menschenwürde abgezäumt.
Auf
Gnadenbrot
in
Schlangen stehen Bittsteller
nach
Almosen an.
Sonett vom Handeln
Und
wenn ich schweige, stimm ich zu.
Und
tu ich nichts, so handel ich.
Wenn
ich nicht störe Eure Ruh
fällt
Eure Tat am End auf mich.
Da
ich nicht schuldig werden will,
an
Eurem Handeln, Eurem Tun,
so
darf ich länger nicht mehr still
und
müde, träge, lustlos ruhn.
Denn
sag ich nichts, kann niemand hören
dass
ich verabscheu, was Ihr sagt.
Und
tu ich nichts, kann ich nicht stören,
die
Tat, die ich nur stumm beklag.
Denn
Euer Unrecht stumm und tatenlos zu dulden,
heißt
handelnd, schweigend sich am Leben zu verschulden.
Leander
Sukov
Autobahn
Mit
Erdengrau das Gelb verrührt
und
unter einem blassen Himmel
liegt
abgeerntet Feld an Feld.
Die
Inseln welche Bäume tragen
und
Büsche, kleine Teiche,
sind
rot und braun und gelb.
Grün
fast noch ist das Brachland.
Dazwischen
grau das Band
der
Autobahn, auf dem wir
uns
dem Ziel der Fahrt
entgegen
treiben.
Rasthöfe,
die so tun,
als
wären Bauernhäuser sie,
tragen
Plastikähren an den Wänden.
In
Mexico sind die Tortillas
so
sehr im Preis gestiegen,
dass
selbst die Bauern, die den Mais
anbauen,
hungern.
Den
Biodiesel hier kann einer tanken
gleich
neben artifiziellen Bauernhäusern.
Und bei McDonalds gibt es Los Wochos. |
|
Lisa Fitting / Duisburg / *1951 |
|
(ZURÜCK) |
kurbeln
ausgezeichnet!
der Staat gibt
uns
wir wagen
uns
so
neu wie nie
beschenkt
auf Tour
egal wo
hin
der Staat
die wölfe
sollen ausgestorben sein
versteh ein mensch
wer heute massenweis
die schafe reißt
kleinanleger
im Nichtschwimmerbecken
nicht untertauchen durchsichtig
bis auf die
haut die blinde haut
ohnmächtig
im Nichtschwimmerbecken kein warnschild
kein hinweis man bleibt ja mit
dem kopf über wasser nichts
passiert nichts
kann passieren
wie kommen wir
ins Nichtschwimmerbecken und
warum warum kein
ausgang kein aufgang und
der bademeister wirft wohl
kann ja nichts
passieren gibt’s den
bademeister
gibt es den
Lisa Fitting
die meere fressen weg
und flüsse trinken sich ins land und
zügig planvoll die fische
knabbern am grashalm verbiegen
ihn nicht und bleiben jetzt hier und
sehen was (was?) und
laichen oder
säugen und
saufen und
dann dann atmen und
flüstern nein brüllen
wir wohnen meerüber und grüßen vom grund |
|
Lutz Rathenow / Berlin / *1952 |
Letztes
Buch: “Gelächter sortiert” Gedichte, Ralf Liebe Verlag
Edition Die 10000,
Weilerswist, 2008 |
(ZURÜCK) |
Lutz
Rathenow
Golden Gate
If you're
going to San Francisco....
Keine Blumen im Haar, eine Träne
will hinab zum Fluss. In diesem Moment
liebst du jenes Land. Auf dieser Brücke
von der einen zu der anderen Hoffnung.
The
American dream. Überall die Netze
fangen den nicht ein: sieben jeden Monat
stürzen sich von hier hinab und fliegen.
Alle schauen Richtung Stadt, das Sterben
als Gebet.
Lutz Rathenow
Berchtesgaden,
07.10.2005
Der Weg in den Berg, himmelwärts.
Wo ein Wille ist, säumen Ihn Leichen.
Hier aber arbeiteten sie freiwillig, bezahlt.
Der Tunnel. Der Aufzug - Kapitän Nemo
lässt grüßen. Und weiter,.höher: ein Haus
in den Wolken. Das Volk, unten, überall
Steine (Sterne der Berge) zu deinen Füßen.
Geröll. Einer muss alles ordnen, bewegen.
Behauen. Dachte einer und dachte weiter
im Text: Auch Steine verdienen kein Mitleid.
Geschrieben
nach einem Besuch von Hitlers Bergfestung, zufällig am
ehemaligen
Feiertag eines wegvereinigten Staates.
Lutz Rathenow
Ansprache
eines Wachsenden
Ich wachse.
Ich erlebe es
täglich.
Naturlich wachse
ich.
Schon immer bin ich,
sind wir gewachsen.
Damals schon
schnell.
Und dann erst
draußen. Regelmäßig
gemessen die ersten
Monate.
Immer geprüft die
nächsten Jahre.
In die Höhe! war die
Devise.
Geht gar nicht
anders, als zu wachsen. .
Die Fähigkeit zu
wachsen, wächst mit.
Nein, wir wachsen
nicht nur symbolisch.
Ganz real geht es
nach oben.
Größer und größer
erhebe ich mich.
Wer zurück bleibt,
prüfe seine Gelenke!
Blockiert das Gehirn
seinen Willen?
Höhenangst beim
Blick in die Tiefe?
Einikurzes Schaudern
- weiter geht es.
Dass der Himmel
weichen muss? Übertrieben.
Wir wachsen in ihm
unaufhörlich.
Auch, wenn das
Messen schwieriger wird.
Auch,, wenn mancher
mürrisch blinzelt.
Natürlich wächsern
mit uns die Probleme.
Natürlich wachsen
mit den Problemen wir.
Kräftig gereckt alle
Glieder -
na also, wieder ein
Stück geschafft!
Lutz
Rathenow
Hartz 25
Aus Kostengründen,
ab 1.1.2023:
Zusammenlegung von —
der Grund
aller Kosten sind
die Kosten. Mensch,
was der rostet. Und
mäkelt herum
an seiner Suppe -
also die Vereinigung
von
Pflegeeinrichtungen und Friedhöfen.
Ein
Kostenfaktorenminderungsangebot.
Anzustreben sei die
Unterbringung
bestattungsnah.
Lutz Rathenow
Die
Vogelgrippe und Europa
Im Winter 2006
geschrieben
Auch sie rückt immer näher, es reicht nicht mehr
ein paar Tauben vergiften zu gehen im Park.
Das Bedürfnis zu streicheln und das zu entsorgen.
Die Reinheit der Lieder: kommt die Grippe geflogen,
sterben zwei Schwäne zuerst. In Italien. Auf Rügen.
Der Tod sucht sich schöne Orte. So viel Wildgeflügel
töten wie möglich.. Alle meine Entchen schwimmen
nicht mehr in dem See, gekillt und gegrillt mit allen
Erregem. Hoffentlich. Die kommen aus dem Osten,
dem Süden. Alle meine Ängste, alle. Umfühlen und
neue Worte lernen. Stallpflicht. Auf, auf –
zum lustlosen Jagen. Für eine vogelfreie Welt.
Es leben und bleiben die Lieder, tirili tiriwie.
Lutz
Rathenow
Gerüche
Gerüche sind meistens peinlich oder
alle haben sowieso meist Schnupfen.
Ostdeutsche Realitäten riechen streng,
mindestens dürftig die Grippe, eine
kommunistische Erfindung, um alle Nase
zu beschützen. Vor dem Westen, der duftet
durch Mauer und Minenfelder. Gerüche
helfen nur kurz, wenn der blutsüße Beinrest
andere Reize verdrängt. Die Kindheit, ein
einziges Duftnetz. Bis allem widerriecht:
der Empörungsschweiß |
|
Marianne Glaßer / Germersheim /*1968 |
Letztes Buch ein Lyrikband in der Edition YE, 2004 |
(ZURÜCK) |
Marianne Glaßer
Das Gedicht, das immer wieder
neu einsetzt
die Frierende wärmt
und Felder verbrennt
Das Gedicht, das immer wieder
neu einsetzt
hinter dem Wind
der Apfelblüten befruchtet
und Hütten einreißt
Das Gedicht, das immer wieder
neu einsetzt
hinter dem Regen
der Gras wachsen lässt
und Dörfer auslöscht
Das Gedicht, das immer wieder
neu einsetzt
hinter dem Menschen
der Frierende wärmt und
Felder verbrennt und
Hütten
einreißt und
Dörfer
auslöscht
auch
da –
Marianne Glaßer
As your hand ajusts your tie, people
die.
I
Wenn
ich lese, schreiben andere.
Wenn
ich schlafe, wachen andere.
Wenn
ich esse, hungern andere.
Wenn
ich heize, frieren andere.
Wenn
ich lebe, sterben andere.
II
Wenn
ich schreibe, lesen andere.
Wenn
ich wache, schlafen andere.
Wenn
ich hungre, essen andere.
Wenn
ich friere, heizen andere.
Wenn
ich sterbe, leben andere.
III
Wenn
ich schreibe, schreiben andere.
Wenn
ich wache, wachen andere.
Wenn
ich hungre, hungern andere.
Wenn
ich friere, frieren andere.
Wenn
ich sterbe, sterben andere.
IV
Wenn
ich sterbe, schreiben andere.
Wenn
ich sterbe, wachen andere.
Wenn
ich sterbe, hungern andere.
Wenn
ich sterbe, frieren andere.
Wenn
ich sterbe, sterben andere.
V
Wenn
ich sterbe, sterben andere.
Wenn
ich sterbe, sterben andere.
Wenn
ich sterbe, sterben andere.
Wenn
ich sterbe, sterben andere.
Wenn
ich sterbe, sterben andere.
Marianne
Glaßer
Hinkend
gehen
wir morgens
zum
Briefkasten
und
öffnen der Post
die
Tür.
Heraus
fällt
ein
schwarzes Kind
mit
sehr weißen Zähnen
das
uns lächelnd
die
Hände hinhält
und
um Spenden bittet.
Auf
dem Rückweg
vom
Briefkasten
mit
dem Kind
in
der Hand
kommt
uns langsam
die
Hoffnung abhanden,
ihm
genug in die Hände
legen
zu können,
dass
es zu lächeln aufhörte
und
aus dem Bild verschwände.
Und
so werfen wir es
im Zimmer
in
den Papierkorb.
Dort
verwandelt es sich
in
einen Hund
und
beißt uns
ins
Bein.
Hinkend
gehen wir morgens
zum
Briefkasten
und
öffnen der Post
die
Tür. |
|
Michael Bärnthaler / Wien / *1985 |
|
(ZURÜCK)
|
Michael
Bärnthaler
SUMMER
OF LOVE
paul defiliert
vor
dem erschießungs-
kommando
ich liebe die bullen
stammelt
paul errötend
diese schweine
und oh die
unschuldige
polnische ebene
soff millionen liter blut
die weiße
kreide
unserer hände
im roten licht der endlich oh endlich sterbenden sonne
eigentlich so paul
sei deutschland
ja tot
und trotzdem könnten wir nicht leben
Michael Bärnthaler
BÜRGERBLOCK
wohlgeformte schreie der hochfinanz
genuss
der herzmuskelgrammatik
genug
mein ausgespucktes herz
muss
reisen um die ganze ganze
welt
es hat sich ausgesprochen
welt-
bank in den gestürzten räumen
rausch
Michael Bärnthaler
SCHLAGT
DIE GERMANISTIK TOT
ok es ist
zeit
für programmatik politik
und so
und
nur
weil ich die
welt
nur
als ästhetisches
phänomen bla bla heißt das noch lange
nicht
dass ich
nicht
doch
auch
politik machen große politik machen
könnte was
ich hiermit
ja bereits getan
habe
ok?
hier noch eine
zweite
strophe
für die fans
mit inhalt mit forderungen politik
ich
will die transnationalen konzerne
liebhaben
dürfen
und mich nicht um arme menschen
kümmern müssen
ich
will nur dieses isolierte individuum
durch die welt
pushen
bis es tot umfällt
und nicht mehr weinen
muss
Michael Bärnthaler
REQUIEM
FÜR DEN KOLLATERALSCHADEN
enteigne mich
sagte paul
als er auf dem flatscreen den krieg
sah
wir tranken likör in der schwere
der nacht
und unterhielten uns
nicht
die nachrichten wurden gesprochen
wie
gebete für tote fast ein bisschen
zu feierlich |
|
Mischa Strümpel/ Schwäbisch Hall / *1976 |
|
(ZURÜCK) |
Mischa Strümpel
Arbeiten Sie eigentlich an großen Notwendigkeiten?
Ich dachte an Ladenschluss, den Supermarkt und
die verpassten Schnäppchen, Schwärmereien, die
ich mir jetzt an den Hut stecken konnte. Kratzend,
in hohen Tönen, auf eine Messerschneide gebracht.
Was? Puffreis natürlich! Wir duellierten uns. Damit.
Die Sonntage wie Grabesruhe, bald, und schlichtes,
saftiges Fleischtekenleben, wir, ab jetzt.
Mischa Strümpel
17mal
Monsun
But this yarn about unknown
islands and
monstrous gods.
(King Kong, 1933)
Hier die Glückssache, hier
der Klee. Im Fensterspalt
Lametta, das Rauschgold,
mit dem die Luft spielt, der
Glücksfall, der das Glück fällt.
Eine Geste, die einen verliebt
macht fürs ganze Leben. Eine
Reise in die Verstümmelung,
Gesicht und Hände verlieren, das
Kostüm des Königs der Monster. Ich
trage rosa, beherrsche die Suitmation,
bin Fanfare und Pfuhl. Was bist du,
Papier gegen das Licht gehalten?
Ein Gedicht über Monstrositäten.
Zeige dich, bezeichne mich. Ich
danke Fragmente einer Sprache
der Liebe. In aller Grellheit.
Mischa Strümpel
Eau de Sentiment
in Anschlag gebracht
meine tätigen Kräfte
einer unruhigen Lässigkeit
verstimmte Shotgundynamik.
Werter Geist, ach, ein toller
Schmerz, bewohne mich mit
Zerstreuung. Alles ist einfach
eine Hoffnung „…schieß mich
ab“ die einrastenden Augen
in blaue Röcke, die Güter der
Gefährlichkeit, den Duft der
Herrlichkeit, die Pulver
mischung am Kopf: das zieht
halb Europa an, die Bildwesen
unter den Lidern die Nacht:
„Ich bin in der Überzahl.“
Mischa Strümpel
Astrobewegung
wie ein Ford Taunus so
breit hinein, Opferqualität
futsche Farbe, die liftet
und alle Wunden aufgemalt
„ich habe fünf Finger im Kopf
und krieg sie da nich raus“
es ist die geringe Distanz der
Weintraube zwischen Wasser
und kernlosem Obst, der himmel
öffnende
Bacchusdienst, Pan
ic at the
disco: alles, was be-
geistert, trägt die Farbe der Nacht,
angenickt, eines metallischen
Tags: crash into me, please.
Mischa Strümpel
mehr
nicht
-stoffröhren am Mittelschiff: wirre Streben
arrangiertes kreuz und quer lichte
Geometrie bald Buch
-staben: S O u n d, und so;
aber ich, das Vibrierende
der Stadt, kann beim besten
Willen kein HKNKRZ erkennen. |
|
Philipp Hager / Wien / *1982 |
Letztes
Buch: „Das Spektrum des Grashalms“,
Arovell, 2008, ISBN: 9783902547569 |
(ZURÜCK) |
Philipp Hager
FLIEGENPAPIER
Im Radio tönt ein Politiker:
„Die Gesellschaft muss
hier eine Stütze sein ...“
Er macht weiter
in diesem Ton,
und ich frage mich:
Was soll das sein –
Gesellschaft?
Ich meine, geh runter
auf die Straße,
und finde zehn Menschen,
die sich wirklich gleichen,
in Wissen, Anschauungen,
Erfahrung und so weiter.
Es ist so gut wie unmöglich!
Wie soll es da funktionieren,
sechs Millionen Menschen,
in einem Wort zu vereinen?
Es ist eine Seifenblase.
Eine Fata
Morgana.
Aber ein guter Wink,
wie wenig
ein jeder von uns
da oben
bedeutet.
Philipp Hager
EIN
GANZ GEWÖHNLICHER TAG
Platzende Augenbrauen, splitternde Zähne,
wie aus einem Eiswürfelbecher gebrochen.
Ein hechelnder Junge auf den Knien, der
auf einen schweißnassen Bauch ejakuliert.
Abgemagerte Diamantsucher, die in Sierra
Leone durch dünnschissfarbene Erde kriechen.
Und irgendwo ist Frühling.
Ausgebrannte Autowracks, zerklüftete Städte,
grauer Asphalt, der unter Panzerketten birst.
Ein zugefrorener See, auf dem mit Schnüren
ein Labyrinth gespannt wurde, und Kinder,
die lachend und tapsend den Ausweg suchen.
Einstürzende Neontürme, tote Träume.
Und eine Handvoll Menschen, die glücklich sind.
Philipp
Hager
POLITIK
Politik
ist
wie Fußball.
Wenn
man sich dafür interessiert,
sucht
man sich eine Mannschaft,
hegt
Sympathien und Antipathien,
eifert
mit und freut sich, wenn ein
Tor
geschossen wird.
Aber
es bleibt, was es ist: Ein Spiel.
Es
vollzieht sich,
und
wirkt sich aus,
aber
eher so
wie
das Wetter
oder
eine Darmgrippe.
Du
kannst dich auf die eine
oder
andere Seite stellen,
kannst
umsichtig Kritik üben,
kannst
dir einen Schal umhängen
und
dir die Seele aus dem Leib
schreien.
Am
Verlauf ändert das nichts.
Er
gehorcht eigenen Regeln,
Dynamiken
und Mechanismen.
Du
kannst dich diesem Sport auch
verschreiben,
trainieren, und irgendwann
in
die Mannschaft kommen.
Aber
du wirst feststellen,
dass
du eine starre Position spielst,
mit
genauen Vorgaben, Taktiken,
und
Anweisungen, wann du den Ball
treten
darfst, und wann nicht,
und
wohin du spielen musst.
Denn
es geht gar nicht um Tore,
nur
darum, das Publikum
ständig
bei Laune zu halten.
Wenn
du gegen diese Regel verstößt,
zuviel
Einsatz zeigst, und die
gichtbrüchigen
Säcke hinter dir lässt,
(ein
einziger, ehrlicher Satz genügt)
bist
du ganz schnell wieder
draußen.
Und
sie holen sich einen anderen,
der
besser gehorcht.
Politik
ist
wie Fußball.
Unterhaltung
für Unbedarfte.
Auf
den jubelnden Rängen,
bestärkt
von der gewichtigen
und
facettenreichen Berichterstattung,
kann
man sich schnell einreden,
es
sei wichtig, dass heute
diese
oder jene Mannschaft gewinnt,
weil
das
diese
oder jene Auswirkungen hat.
Aber
hinter den Kulissen will niemand
Auswirkungen.
Ebenso wenig wie die
Spieler.
Sie wollen nur die Partie am
auf
ihren Positionen bleiben,
ein
paar harmlose Pässe spielen,
gerade
lang genug,
um
mit einer saftigen Pension
und
einem großen Namen
abzutreten.
|
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René Steininger / Wien / *1970 |
Letztes
Buch: „rinforzando“, Gedichte & Geschichten, Bucher Verlag, Hohenems,
2008 |
(ZURÜCK) |
René
Steininger
Wolkenkratzer
Über
die Hochhäuser
von
Manhattan
heißt
es hier
dass
sie
an
den Wolken
kratzten
In
ihren Schatten
auf
der bloßen Erde
schlafen
jene
die
dabei
aus
ihren
fielen
New York
René
Steininger
Auf ein Atatürk-Denkmal
Sein ausgestreckter Arm
weist
ihren Traum
vom Himmel
auf Erden
pragmatisch
ehern
zurück
Ein ganzes Land
begräbt
die frommen
Hoffnungen
der Ayattolahs
unter seinem
bleiernen
Stiefel
Nur in Konya
werden sie
schwerelos
von drehenden
Derwischen
wieder
zurückgeschraubt
Antalya
Hier und dort
Ein Dorf
zwei Welten:
Hier
die Ansässigen
und dort
die Zigeuner
In den Häusern
oben
manchmal
ein Vorhang
der sich
einen Spalt weit
öffnet
In den Hütten
unten
ganzjährig
nur Fenster
die nicht
schließen
Jasov, Ostslowakei
René
Steininger
bruchlandungen
Die Hühner
ihrer Fabrik
erzählte mir
eine Farmerin
fielen
nach 16 Monaten
wie Kalenderblätter
tot
von der Stange
Exakt
16 Monate
sagte sie
um als Schnitzel
auf der Speisekarte
einer Imbisskette
zu enden
Das ist
nicht viel
aber Nationen
sind schon
für weniger
gefallen:
Für eine
Semper Augustus*
im Garten
eines holländischen
Spekulanten
Es ist mehr
als der Passagier
in der abgestürzten
Boeing
hatte
oder Juda
nach der Weissagung
Ezechiels
blieb
* Die Semper Augustus was während der großen Tulpenmanie in
|
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Rolf Bödege / Frankfurt |
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(ZURÜCK) |
Arbeitsplätze gibt's genug,
nur:
Diese Hängemattenbesetzer
wollen Geld fürn Arbeitsplatz,
und nicht zuwenig,
Sie wollen Essen, Kleidung, Wohnung,
sogar Kino, Disco,
später Rente.
Kein Gedanke
an die Gemeinschaft,
die sich für sie
aufopfert.
Arbeit schafft Sinn,
Befriedigung,
Selbs Verwirklichung.
Ist das nicht
Lohn genug?
Rolf Bödege
Zerstreutheit
Ich suchte Zerstreuung
und fand sie.
Es war einmal:
Der Sämann streute den Samen
weit ausholend
auf seinen Acker.
Jetzt machts die Maschine.
Vorher kommt aber
der Miststreuer.
Seine Frau braucht
Pfeffer-, Salz- und Zuckerstreuer.
Bei Schnee und Eis
kommen die Streufahrzeuge.
Dann gibts da noch
Streubomben.
(Soldatsein ist ein schöner Beruf.)
Sie sind nicht
so praktisch.
Sie machen nur Löcher
überall hin.
Ich suchte Zerstreuung
und bin zerstreut.
Rolf Bödege
Gemein nützig
Unternehmer müssen verdienen
Unternehmen müssen verdienen
Banken müssen verdienen
Aktionäre müssen verdienen
Der Einzelhandel muss verdienen
Der Grosshandel muss verdienen
Der Vieh- und Menschenhandel muss verdienen.
Weil alle die
Wenn sie mehr verdienen
Mehr konsumieren oder investieren
Damit
Unsere Arbeitsplätzchen
Erhalten.
Rolf Bödege
Frieden und Freiheit
Für den Frieden kämpfen
Ist eine gute Idee
Der Friede wird sich freuen
Wenn er's hört
Meist ist es zu laut
Da versteht er kein Wort
Weil alle
Gerade für ihn kämpfen
Und Kampf
Macht Lärm
Der Friede ist
Schwerhörig
Nörgelnd
Nicht zufriedenzustellen
Die Freiheit
Ist seine Schwester
Blind
Sieht nicht
Wie viele in ihrem Namen
Kämpfen
Fangen und foltern
Sonderbares Geschwisterpaar
Blind und taub
Undankbar.
Rolf Bödege
Willst Du Dich beschweren
Karl
dass du in den Krieg musst?
Du hast es gut::
deine Kinder dürfen nicht umgebracht werden
deine Frau auch nicht
nicht einmal vergewaltigt dürfen sie werden
deinen Arzt müssen sie leben lassen
deinen Sanitäter auch
das Krankenhaus dürfen sie nicht bombardieren
nur dich dürfen sie umlegen
und auch das
nur waidgerecht.
Willst du dich da beschweren
Karl?
Rolf Bödege
Tierisch
Der Tiger -
na was wohl:
tigert.
Der Ochse ochst.
Löwt der Löwe?
Der Elefant ist nicht gesund,
er hat die Elefantiasis.
Der Vogel - natürlich -
vögelt;
darüber
höhnt das Huhn, obzwar selbst ein Vogel.
Das Krokodil
dealt derweil Kroko,
während der Mensch
- nein das nicht -
mäkelt, mäkelt,
missbraucht,
marschiert. |
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Sabina Lorenz / München / *1967 |
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(ZURÜCK) |
Sabina Lorenz
Abend, offen
In den Straßen wächst Licht (take your time), tröstlich
bunte Einkaufstüten und bunte Kinder, sagt sie, Namen
im Mund, Luxus für alle im Lidl. So entstehen Räume.
Nach hinten raus gibts Brot von gestern, kaum
ahnt man wie sicher die Landschaft geworden ist. Und
unter der Linde, Lidl-Linde, sagt sie, parken tröstlich
bunte Wagen, Baumtraum, sagt sie, also
Parkplatz, Menschen, Einkaufstüten, ob das
wohl für Linden ewig sei, und wie lang
für Linden ewig sei, also ewig, sagt sie, ewig also
ist genauso, als ob es das nie gegeben, sagt sie
eine Zigarette lang, dann erlischt das Licht (take
ist die Linde eine sichere Geliebte. Den Ort zu bleiben
gibts dort auch.
Sabina Lorenz
Fehlende Wetterlage
Wie die Dinge scharf stellen, z.B. an Sonntagen
wenn es regnet, und du sitzt in einem Nest
wie dem Westkreuz fest, grillst über einer Kerze
Käse. Denkst
an Echsenbeckensaurier (an was auch sonst)
eingezäunte Ameisenstraßen, und überall steht was
von Schwänen, die sich in Tretboote verlieben.
Entwöhntes Vergessen. Kein Schauer
in diesem Klima, wo nicht mal der grüne Fraß
verblüfft, haften weiß Serotonin-Wiederaufnahme
hemmer. Es ist peinlich, überhaupt Nerven zu haben.
Geht so Furcht. Wähnen
wir Zukunft als Fortschreibung eines ewigen
Heute. Jeder Kontinent ist im Krieg. Die Säuernis
verbrühter Namen, wenn sie alle auf einmal
die Straßen füllten. Dafür
ist der Dienstleistungssektor ausbaufähig
Interessierte sollten sich beeilen, immer
in Erwartung, dem Glück zu begegnen.
Ein billiges Nintendo-Spiel. Wer herausfindet
wie es geht, kommt ins nächste Level.
Im Vergleich die Sammlung Zuckerwürfel, manche
krümelig vom vielen Tragen, die kannst du
unter deinen Sohlen hören.
Sabina Lorenz
Über Diesseitiges und mittendrin
Jetzt: denk die
Abwesenheit, als wärs
Zeit, Platz zu
machen für deine schwänefütternde
Nachbarin, die dich
zur Tagesschau um 20 Euro bittet
(und brütet
Schwaneneier aus. In ihrer Wohnung.
In ihrer Wohnung.)
Platz
für die großen Träume der
Erzieherinnen
von der
16.000-Euro-Frage
nicht enttäuscht zu
werden: Wie viel
ist ein
Menschenleben wert? Z.B.
für Frau K., die
Herrn A. füttert
wickelt, wäscht.
Zieh den 50/50-Joker. Die Antworten:
- unter 10
Euro - über 10 Euro Passé. (Aber
brütet Frau K.
Schwaneneier aus.) Zeit
Platz zu machen für
die Nacht, für Herrn A.
seine Freunde im
Fernsehen (dort
sieht er sich besser
als im Spiegel). Alles in allem
zu langsam für das Glück.
Der erfolgreiche
Paarmensch
hat rechtzeitig auf
Gold spekuliert und sich vervierfacht.
Was es wohl ist.
Etwas wie ein Organismus
im diesseitigen Raum
der Peep-Shows, wo die Zukunft
gehandelt wird.
Etwas wie
Abwesenheit. Denk
die Abwesenheit
der
schwänefütternden Nachbarin, die Abwesenheit
der Erzieherinnen,
von Frau K. Und was ist mit Herrn A.
seinen Freunden im
Fernsehen. Als wärs
ein Schwan, der seinen Schatten einschwimmt.
Sabina Lorenz
Tide
Bohrinsel links. Am
Horizont. Windpark
rechts. Norfolk,
England jenseits. Unsichtbar.
Oben Möwen. Schreien
im Wind. Unten
Muschelschalen.
Weichtiere, tot, knirschend
und ein nach Wasser
ringender
Fisch, das Maul
gesperrt. (Wie klingt
Fischeschreien.)
Kleine schwarze Klumpen
Öl in Algen
verhangen. Und Sand. Sticht
im Schuh. Am
Spülsaum Schaum.
Wir laufen der
nächsten Landmarke entgegen
(Weichtiere,
frittiert). Kleinen schwarzen Löchern
davon. Keine Tapeten
mehr, die knistern. Keine
Antworten auf
Fragen, an die wir uns nicht
erinnern. Wir
pflücken
Schnecken von zerfetzten
Fischernetzen. Wir
träumen
uns als junge Hunde.
Den Sommer
in Vollversion.
Erzählen
von Sandburgen.
(Neptun
im zweiten Haus.)
Reden
die Schönheit
notwendig. Den Weg
über Fußballplätze
inmitten der Dünen
zurück zum Center Park. Beach Factory.
In Blau. Auf
toten Weichtieren gebaut. Drinnen
knistern Tapeten.
Raufasern. |
|
Sabine Hennig-Vogel/ Lutherstadt Wittenberg / *1962 |
|
(ZURÜCK) |
Sabine Henning-Vogel
|
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Jürgen Flenker / Münster / *1964 |
Letztes
Buch: „das argument der kletterrosen“, Wiesenburg Verlag, Schweinfurt,
2007 |
(ZURÜCK) |
Wind zerrt hart an
gebündelten Säcken,
gefährdet gelbe Spaliere
von Müll.
Ringsum
frühlingserwachende Hecken:
Momentaufnahme Anfang
April.
Die Eintopfwoche zieht ihre Fäden.
Ein Müllmann kehrt vor
der eigenen Tür.
Um achtzehn Uhr dreißig
schließen die Läden.
Ein Rollgitter kreischt
wie ein ängstliches Tier.
Im Vorortzug bricht sich
ein Schrei an den Scheiben.
An der Brandmauer steht:
Ricardo war hier!
Mit Arbeit lässt sich
die Zeit nicht vertreiben,
die Zeit ist ein
Schatten und wandert mit dir.
Am Standort Deutschland
drehen sich Kräne.
Ein Rabenflügel wischt
flüchtig vorbei.
Im Arbeitsamt beißt ein
Mensch auf die Zähne.
Geld ist härter als
Haferbrei.
Um ewig rauscht die alte
Klage,
die immerwährende
Litanei:
Wacht auf, Verdammte
eurer Tage,
wer trampelt, tritt sich
schließlich frei.
Und Fortschritt rostet
in stillen Kammern.
Weisheit studiert den
Eulenflug.
Stillstand muss mit
Katzen jammern.
Aus Wolfsgeheul wird
keiner klug.
Am Standort Deutschland
wandern die Scheine –
und bleiben doch stets
in einer Hand.
Brot ist weicher als Pflastersteine.
Noch immer also herrscht
Ordnung im Land.
Vorüber rauschen getunte Rabatten.
Wer trennt hierzulande
den Wohlstandsmüll?
Rot flammt der Abend,
die Nacht wirft Schatten:
Bestandsaufnahme Anfang
April.
Jürgen Flenker
alte schule
(den kindern von
beslarn)
so bald geschnallt
das ist die härte
das leben selbst
glaub nicht an wunder
die alte schule brennt
wie zunder und
wer jetzt nicht rennt
ist doppelt schnell
verreckt und alles muss
versteckt und muss
verschlagen sein ein
sterbenswort bleibt dir
im hals allein der
mund bleibt stumm
und wer nicht fragt
bleibt auch gesund
es regnet asche regnet
schlaf
wer hört wer rief
wer stört wer schlief
in flammen weich und
bunt
ein wind ein kind
fuhr in den rauch
es bricht die mauer
ohne grund
und alles andre
gildet nicht
Jürgen Flenker
zerstreuung
am schlimmsten ist es
sonntags
da kommt zur einsamkeit
der macht
noch das geschrei der
massen vor den toren
mitunter lässt der
herrscher dann
zu ihrer und seiner
zerstreuung
ein blutbad anrichten
nicht dass es ihm dann
besser ginge
allein wie soll man
sorge tragen
für die zukunft seines volkes
bei diesem lärm
später schweift sein
blick über den platz
carraraweiß nach der
säuberung
und der himmel trägt
schwer
an einem blau
das ihm keiner abnimmt
Jürgen Flenker
waldschmerz
es geht kein ruck
durch diese wälder
der widerstand der
blätter
auf dem nullpunkt
ein eisgrauer specht
klopft schwach auf totes
holz
es geht um
schadensbegrenzung
im kahlgeäst
das dünne lied der
drossel
beschwört den status quo
stehn die leitern morsch
im wind
bestandschutz überall
und doch
in den rabatten rumort
es
mit stumpfen äxten
krauchen eliten durchs
unterholz
moosgepolstert sprießen
die alten ideen ins
kraut
Jürgen Flenker
feld,
aufschwung
die talfahrt stoppte
abrupt
auf einer lichtung ein
bild
von einem sommer wir
glaubten
an die nachhaltigkeit
des grüns
und schluckten es wie
ein placebo
die wolken weiße fahnen
die gedankenbestie auf
dem rücken
streckte alle viere in
den wind
der himmel bilanzierte
unterm strich
starke zuwächse an blau
wie auf bestellung
tauchten felder auf
nur krähen fielen aus
dem rahmen
doch das überangebot an
raps
hielt keiner neiddebatte
stand
|
|
Stefan Heuer / Burgdorf (Hannover)/ *1971 |
Letztes
Buch: "honig im mund – galle im herzen",68 lyrische Montagen
zur.
RAF, Lyrikedition 2000, 2007 |
(ZURÜCK) |
02. Juni 1967
Unruhen beim Besuch des
persischen Schahs,
Tod Benno Ohnesorgs.
bereits am frühen nachmittag
der auftritt der jubel-
perser, busweise das gekaufte hurra gegen die
skepsis einer minderheit, reza
pahlevi und seine
frau, alles andere als
gewöhnliche touristen / der
eintrag ins goldene buch, schah-schah-scharlatan,
das gefecht zunächst noch mit
worten, später die
neutrale zone fest in
persischer hand, totschläger //
abends vor der deutschen oper:
drinnen die zauber-
flöte, draußen die
leberwurst-taktik (nehmen wir
die demonstranten als
leberwurst, nicht wahr, dann
müssen wir in die mitte
hineinstechen, damit sie
an den enden
auseinanderplatzt), die polizei, dein
freund und helfer – die knüppel
der greiftrupps,
die steile karriere vom
romanistikstudenten zum
rädelsführer / schnitt /
unauslöschbar das bild mit
der frau, die den kopf des
toten stützt, mehr als
zufällig das »d« im rücken wie
ein dolch, der volks-
wagen wie hohn: es besteht
leider der dringende
verdacht, dass auf benno
ohnesorg auch dann
noch eingeschlagen wurde,
als er schon tödlich
getroffen am boden lag;
die lunte entzündet und
nicht mehr zu löschen, und
nicht mehr zu löschen
Aus: "honig im mund – galle im herzen", 68
lyrische Montagen zur Geschichte der RAF, Lyrikedition 2000, 2007
09. November 1974
Holger Meins stirbt an den
Folgen des Hungerstreiks.
schweigsam und hager, zelluloid
bereits in der wiege,
gewissensgeprüft, bewegte
bilder wie magneten, das
öffentlich-rechtliche schiff
für die suche verlassen, die
im boot hätte enden
können (stattdessen: festschnallen,
zwei handschellen um die
fußgelenke, ein dreißig cm
breiter riemen um die hüfte
... von rechts der arzt auf’n
hocker mit ’nem kleinen
brecheisen) / starbuck auf dem
weg, links links zum bäcker zur
demo, der dreiminütige
alleingang, s/w
cocktail-werbung, der schritt zur tat usw.
usf. (damit geht er zwischen
die lippen, dann zwischen
die zähne und hebelt die
auseinander) und schnitt: ein
skelettierter mensch,
zweiundvierzig kilo mit bart, fern
jeder hungersnot die
selbstbestimmte dürre (von links
die maulsperre. verwendet
wird ein roter magenschlauch,
mittelfingerdick) // ein
ende nach shakespeare, applaus
Stefan Heuer
05. September – 18. Oktober 1977
Gefangenschaft Hanns Martin
Schleyers.
schleyer has left the vw-bus,
die nachricht aus dem
radio, auch im volksgefängnis
zieht das fernsehen
nach, der kanzler in aller
bürger ohren (sie mögen in
diesem augenblick ein
triumphierendes machtgefühl
empfinden. aber sie sollten
sich nicht täuschen) / das
erste polaroid, elf namen auf
papier, in großer runde
meinung: kein wunschkonzert im
deutschen herbst /
fokus: am renngraben die unverbindlichkeit
in beton,
babynahrung für nervöse mägen,
verzögerung und
lebenszeichen, die suche nach
einer idee, nach der
idee; das gleiche gesicht, das
immer gleiche gesicht:
im weidenkorb nach den haag,
vollpension im hause
etna, schon bald die flucht
vor heißen spuren, end-
station brüssel: das kommando
dünnt aus, in bagdad
ein schritt in die falsche
richtung, ein schritt ins leere,
stillstand (ich sprach von
entscheidung und dachte
nicht an ein jetzt über
einen monat dauerndes dahin-
vegetieren in ständiger
ungewissheit) / tag für tag die
kleine lage, pleiten,
pech und pannen: zur richtigen
zeit vor der richtigen tür (frau
lottmann-bücklers zahlt
bar und im voraus, große
scheine), der älteste sohn,
aufgewogen in
dollar/mark/franken/gulden, indiskret
par excellance – das
bundesverfassungsgericht ein
strohhalm, eingeknickt und
unbegründet – mag sein,
die hoffnung stirbt zuletzt –
doch sie stirbt, sie stirbt
Aus: "honig im mund – galle im herzen", 68
lyrische Montagen zur Geschichte der RAF, Lyrikedition 2000, 2007
Stefan Heuer
18. Oktober 1977
Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun
Ensslin
begehen Selbstmord.
stammheim null uhr
achtunddreißig, das urteil aus dem
radio in die führenden köpfe,
jetzt, da die arbeit erledigt
war; die verschiedenen wege zu
gehen: ein strick für
hals statt strom, ein messer,
zweimal der druck gegen
den schädel, einmal die
schläfe, einmal der hinterkopf,
die taktik des feindes perfekt
imitiert (in den kopfhaaren
der mittelliniengegend
zeigen sich zwei lochdefekte der
kopfschwarte) / und der
mythos vom mord, die falsche
fährte für den fanblock – der
sohn des wüstenfuchses,
sein wille, dass feindschaft
mit dem tode enden möge
Aus: "honig im mund – galle im herzen", 68
lyrische Montagen zur Geschichte der RAF, Lyrikedition 2000, 2007
Stefan Heuer
27. Juni 1993
Polizeieinsatz auf dem
Bahnhof von Bad Kleinen;
RAF-Mitglied Wolfgang Grams
und ein Polizeibeamter
kommen ums Leben.
eine heiße spur, auch nach
jahren nicht erkaltet: ein
v-mann auf der brücke eines
untergehenden schiffes,
im logbuch ein kurztrip an den
schweriner see, volle
fahrt voraus; der peilsender im
schlepptau füllt das
netz / verlassen der wohnung
und zugriff, stopp: was
singt der vogel frohe kunde?
ein treffen mit freunden,
da siegt die (neu)gier,
zwinkernd das sprichwort von
aufgeschoben und aufgehoben //
drei tage später im
billard-café, small talk bis
zur ankunft der liebe, sind
drei einer zuviel, das fünfte
rad am wagen ein mehr
als faules ei, wir sind auch
nach unserer einseitigen
rücknahme der eskalation
nicht davon ausgegangen,
dass der staatsschutzapparat
aufhören würde, nach
militärischen schlägen gegen
uns zu lechzen, sunday
bloody sunday in der provinz,
in zivil die übermacht:
mündungsfeuer und schreie,
geraten am kiosk die
zeitungen in den hintergrund,
der feste blick auf den
reisenden und dessen sturz ins
gleisbett, ein letzter
blick in die augen (s)eines
mörders, mahnmal gegen
einen staat und seine
(tradition der) endlösung – ein
aufgesetzter kopfschuss, und
niemand hats gesehen,
falsch: niemand wollte es
sehen, niemand durfte es
sehen!, zivile zeugen ohne
wert, denn: ein pionier
polizist lügt nicht, basta! //
da drehen sich worte im
mund, rollen köpfe, springt die welt am sonntag über
ihren schatten, der wahrheit
die ehre, nur das satz
zeichen das falsche! lügen
haben kurze beine, da
kriecht so mancher auf dem
rumpf durch den sumpf,
sehnen sich einige zu
verhältnissen wie '77 zurück,
als unter spd-regie totale
nachrichtensperre herrschte
und die lügen schon vorher eingeübt
waren – der
spitzel durch die presse
liquidiert, der lakai in den
schlagzeilen; und unbrauchbar
auf dem abstellgleis
Aus:
"honig im mund – galle im herzen", 68 lyrische Montagen zur
Geschichte der RAF, Lyrikedition 2000, 2007 |
|
Su Alois Immekeppel / Berlin / *1962 |
|
(ZURÜCK) |
Su Alois Immekeppel
29.01.2007
DIE PANISCHE KLUFT
zwischen abwärts und aufschaum
grinst rettungsintensiv:
der seuchung Ihrer biomasse mittels body-scan
entgeht nie wieder ein bankgeheimnis,
wenn Sie durchleuchtet, total verwaltet,
renoviert bis zum schmucktatoo unter dem fingernagel
mit unserem mood management prosperieren, indem Sie
die vorstellung, Sie selbst zu sein, epidemisch verlassen!
Überwachung wird dienstleistung.
Su Alois
Immekeppel
04.10.2006
DEN DESOZIALISIERENDEN BRECHMITTELN
folgten wattierte bandagen,
um nachhaltigkeit zu kaschieren –
verblendung hat hochkonjunktur
bedeutungsaas verfeinert die ontologische allerlei-leere
denn aufwertung geht vor.
sinnstiftung mümmelt
zwischen einsamen grashalmen –
dürregewohnt.
sinnklau steigbügelt die laufbahn
ins verfehlte steifwissen.
ihre kadetten lauern im schmerzwinkel der klarheit.
degradiert zur nestbeschmutzerin
vergewissert sich diese
daß es ihrer anwesenheit schade,
anwesend zu sein!
Wir sind beim aufglanz des unheils behilflich.
Su Alois
Immekeppel
29.09.2006
AM SAUM DER SPRACHE
ziehen giftdrüsen auf,
der sinn verdreckt.
lobbysiert und verdunkelt –
hielten die worte
nicht mehr wort.
Su Alois
Immekeppel
29.09.06
STAUSIGNALE
flimmern entlang eines auflackierten scheingefühls.
verletzte widerstände rekeln sich zwischen den erinnerungen,
die sich mit perversionen streiten.
durchatmen in schlingernden wahrheitspötten.
westwind verstärkt den aufprall
einer besonders delikaten luftdichte.
früher waren die dreckschleudern des ostens daran schuld,
heute stößt der tägliche lärmtross seine sauerstoffkäfige
über den laufsteg eines schattenwahns –
du siehst nicht mich aber das modell.
im historischen museum winken diese
mit den händen in den hosentaschen.
das ist auf jeden fall lässiger
und erspart erhebungen.
auch das lächeln der deutschen ist handsome geworden.
alle haben die zukunft schon hinter sich,
relapseflocken verzieren
den biografischen musterteppich und
getrübte vernunft spreizt ihre gier
nach visuellen delierien.
Su Alois
Immekeppel
05.05.2007
NICHT WIE SONST, sondern einzig, allein und besonders
standen wir vor der aussicht, die letzten zu sein, als
wollten wir uns bewerben.
die pose gerierte zum aufsatz, zur verpatzten
endlosgeburt, die sich niemand in vorschrift
ausmalen wollte.
Die blickrichtung schlug auf entflochtene bindungen
ein, die keiner mehr aushielt, ohne dafür bezahlt
zu werden.
Den täglichen rissen in den biografien
gefielen die tatoos, kraft derer man sich
in die oberen ränge piercte. manch einer
hing an langfristigen fäden und hielt das für
erstrebenswert.
Zwischen mensch und behauptung klaffte ein vorsprung.
den nannten wir bonus gewinn oder rücklage.
wer zeit hatte, übte an der in den abgrund
weisenden zunge kopfsprung, um seine
risikobereitschaft zu trainieren.
Der herzmuskel war in diskretionen
erstarrt, die uns beibrachten, gleichgültig
gift und der anderen gift wie nahrung
zu verzehren. den brechreiz im hirn
brachte das nicht aus der fassung. wir
dachten längst euphemistisch.
Den optimaten stand realistisch betrachtet das
wasser zum hals, um die wachstumsprognosen auf-
recht zu halten.
gefühlsreste, die
sich nicht stornieren liessen, fingen
plastinierte engel ein, die sich wie barbiepuppen verhielten:
lackiertes geschwätz und partnerstyling.
Nur ein alleinstehendes komma ohne vor und danach
mochte auf bleichem grund sich
behaupten: ein geschwungenes zeichen,
dem die verlautbarung nichts mehr bedeutet,
eine zäsur zwischen trostlosen mengen
gebeugter fakten,
als wolle es einen mord anzeigen. |
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Thien Tran / Köln / *1979 |
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Thien Tran
DIE SOZIOLOGEN BEZEICHNEN DIES
ALS LANGWEILE
die ganze Zeit,
nichts
sowas wie eine Tastensperre
kalendarisch
schon im voraus
festgelegt
die große
Revolution
wird erst am Wochenende meßbar
zeitgleich
mit den
Datenströmen
die Sachlage ist
vor allen Dingen
an Einzelphänomenen zu beschreiben
an der eigenen
Stimme
aus der Induktion
dieser Erregungs-
zustände ließe sich
sodann
ein Endbild
ableiten
unsere eigentliche
Postmoderne
das Begehren synkopisiert. Begehren
in die Enge
getrieben
solange bis auch
der letzte Rest an Identität
an Selbstbestimmung
sich im Allgemeinen
dieser Nacht
auflöst. für einen Historiker ist dies
ein ganz
alltäglicher Vorgang.
Thien Tran
PER VOLKSENTSCHEID
Fahne auf Halbmast
Arbeitslosigkeit steht an
und Langeweile
die vom Regen
gezeichneten
Gesichter der Nachrichtensprecher
wenn man abends
heimkommt
und die Raviolis
aufwärmt
man kennt die älteren Menschen
vom Ein- und
Aussteigen
in den Bus. aber
man selbst muss weiter
die Industriewolken
der Industrie
meinetwegen. graue
Zahlen
für dieses Quartal.
bei den Meldeämtern
gehen wieder die
Paßfotos in Druck
eine langanhaltende
tiefgreifende und
nicht zu unterschätzende
Normalität macht
sich breit
wobei Normalität
und Langeweile
sich immer wechselseitig bedingen
während die
Langeweile steigt.
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Thomas Steiner / Neu Ulm / *1961 |
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Thomas Steiner
die schafe schenken uns
ihre körper. sie
fressen fröhlich unser gras
auf unseren wiesen
& feldern & deichen
(deiche, jawohl,
dort sind sie besonders von nutzen)
& als dank
dafür
geben sie uns ihre
körper & wir nehmen sie
(die körper) gerne
an. das ist die geschichte
der schafe auf der
weide.
Thomas Steiner
spaziergang
(1)
dem waldrand
entlang
herbstwind doch
sonnig
karawanen von
wanderern
(so sagte man
früher) &
walkern, hunde
sowieso
familien ließen
drachen steigen
(2)
der eine drache
flog schlecht
waagrecht übers
feld knapp
über dem boden,
dann
am waldrand stieg
er kurz &
fiel in die kronen,
wo er
hängen blieb. der
junge
weinte, auch jungen
können weinen
(3)
später auf dem
friedhof
(friedhofsrunde zum
ausklang)
unverhofft
der grabstein des
ritterkreuzträgers
schneeweiß
schneeweiß gepflegt
(& das will gut
gepflegt sein !)
ganz groß drauf
geschrieben in gold:
eichen laub zum
ritter kreuz
alt ist er
geworden, alt.
Thomas Steiner
nach dem schiffbruch auf den wogen der kapitalströme
also: wir hatten
(damals) 1 lehrer (1 vorbild also
& uns zur
belehrung), der erzählte (jeder klasse, jedes jahr)
er sein pleite für
sein leben weil sein lebenstraum gescheitert
war: 1 schafzucht
(kein witz, der lehrer [mit seiner {schönen} hochschul
bildung] wollte
ganz was andres machen als uns pubertäre
deppen hüten &
züchtete, nun, schafe, die süßwolligen, & ging pleite
damit [ja ja!]) 1
schafzucht also hatte er & wurde illiquide (wie es
richtig heißt)
& musste darum (doch wieder) tun, was er besser konnte
(als lehrer &
vorbild), doch sein geld ist gepfändet (bis zum rest
des lebens, sagte
er [jeder klasse, jedes jahr], was ein neuanfang
nach rückwärts war)
− & er lachte uns aus.
Thomas Steiner
oma fiel die treppe runter
& es stellt
sich die frage:
was machen wir mit
ihr?
die ökonomie sagt:
nichts tun
oder sehe ich das
falsch &
die ökonomie (in
ihren viel-
fältigen
verflechtungen) sagt:
arzt holen. ich bin
zu doof
das zu
durchschauen.
ich bitte um
erklärung &
rat. was soll ich tun?
Thomas Steiner
wenn der lehrer gerade keine lust mehr hat
(ich spreche von
unserem
lehrer g mit seinen
weißwallenden
haaren & weiten
hemden der
inzwischen tot ist
weil er
damals schon fast
60 war)
erzählte er
geschichten
aus seiner
jagdfliegerjugend
voller wilder
abenteuer.
er wollte
uns ähnlich sein
(er wollte uns
ähnlich sein).
damals trugen die
schüler wallende haare
& weite hemden.
& tatsächlich:
wir hörten mit
großen augen zu.
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Tobias Falberg / Oberasbach / *1976 |
Letztes Buch: „Landschaft mit Ufo“,
Kurzgeschichten, Ursus Verlag, 2007 |
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Tobias Falberg
Grundrecht
auf Aufteilung
Am Feldrand lagen ausdauernde Hecken-
stecklinge und mehrere Kanister
Dornendünger. Die Wiesen teilte man
mit Maschendraht in kubische Elemente.
Geriet ein Nutztier in die Maschenlinie,
wurde es aufgenommen
oder halbiert und später eingesammelt
von Veterinärkränen. Um die Fleischhallen
wuchsen rostbraune Stahlnetze Richtung Licht,
der Höhe nach ausgegossen mit schnell
härtendem Beton. Weiter oben
schoss ein Bolzenroboter Holzlatte
neben Holzlatte auf dicke Querbalken.
Selbst ich besaß einen tragbaren Klappzaun,
sehr leicht, eine Aluminiumlegierung, die nicht
viel taugte. Doch es ging ums Prinzip.
Deutsche Klavierbauer hatten im Sinne
des Völkerrechts Stacheldrahtbolide entwickelt,
die sich selbsttätig verbreiteten und ausrollten
zu vollwertigen Begrenzungen, Energiesäulen
und Starkstromanschlüsse inklusive:
auch hier Kräne. Für landschaftliche Einblicke
stand Panzerglas hoch im Kurs. Die Sicht war
frei geholzt und man hatte die Springminen
und Selbstschussanlagen unaufdringlich getarnt.
Der Gebietsautomat zog zehn Euro ein,
schlürfendes Geräusch, die Kamera surrte,
der Drehverschluss schleuste mich an den Strand,
wo ich zum ersten Mal Berge von Salzwasser sah.
Es juckte mich, ich übersprang die Trennwand
und lief ins Freie. Die Gesetzeslage
war eindeutig. Geräuschlos
schloss sich das Gitter.
Da stand ich nun, relativ mutlos.
Manche Insassen kamen zu Lebzeiten zurück,
aber dafür musste man bei jeder Bewegung
solche Dinge wie die Guillotinenfenster
im Hinterkopf behalten.
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Ulf Großmann / Dresden / *1968 |
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Ulf Großmann
sie liest
kriecht vor den Medienikonen zu Kreuz
im Zeitungsleben in zu großen Buchstaben
bis sie selbst das Gras am Rande frisst
sich nackt rülpst Meinungen bildet
als wäre es ein alter Brauch
so verfüttert zu werden
er liegt dort
ohne Tür und Klingel lakenweit haben sie ihn gebracht
das ist nicht schlimmer als eine infizierte Startdatei
das auszuhalten in den modernen Fassaden ist so einfach
er fällt friedlich bis zur Allgemeinmeinung hindurch
spekuliert
agiert im Korsett so unecht wie möglich
so echt wie nötig dreht sich die Welt
am Ende wird wegberäumt oder am Anfang
bis zum Sozialamt ist es der gleiche Weg
für die immer Gleichen
die Vögel haben
Warnblinkanlagen die sich einschalten
beim Anflug auf ihre Plastiknester
und in der Mitte des Baumes zieht sich
ein Eichhörnchen Nüsse aus dem Automaten
unten steht ein gechipter Mensch staunt
im Moosimitat über seine eigene AnOrdnung
noch mehr
schreits in alle Ohren & wir drücken
uns in Arbeitstage und Konsumtempel
wir drücken und drücken dabei
ist die Weltwindel schon voll |
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Walter Baco / Wien |
Buch
u.a.: „System Success – Anleitung zum Untergang“, Satire, edition sisyphos,
Köln, 2005 |
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Walter Baco
Atmet das Sorgenkraut!
Gleitet entlang der Berg und Tal-Textierung!
Ein tragbares Raster-Muster, yeah baby!
Durch jede Öse dringt das Böse
Ein Mu-lattenzaun, cremefarben
So trällert der Grünschnabel seinen Evergreen
Ein Würfelspiel, mit schweratmig rauchender Langeweile durchsetzt
Ein geistloses Lallen
Ein verschossenes Pulver
Ein Ewig-am-Ziel-vorbei
Ein vom Zentrum abgelenkter, nie abgeflogener Pfeil
Ein Wurfspieß der Germanen; drei Buchstaben
Wir haben ein Waagrecht auf eine ziegen-freundliche Befüßelung
Wir haben die Legende, wo blieb der Dolchstoß?
Wir haben eine Diagonale im Trio
Eine Sandviper im Gepäck - Notration
Eine zischelnde Erkenntnis
Einen Non Plus-Kurti
Einen Sonnenfilter, may be hazardous
Einen Krummschnabel, einen sich biegenden Steg
Die Wurzel-Koketterie
Die Radikalkur, wir haben GROSSRÄUMETAG
Wir haben Klein-Kram und Mini-Cremissimo
Wir haben zweckgebunden, -ungebunden, -los
Wir haben Ausgang
Wir dürfen fliegen, büffeln über den Vokabeln der Freiheit
Wir schmettern uns ins Horn
Trällern einen runter
Bowlen um ein Fruchtgetränk
Flippen um ein Freispiel
Stemmen uns in Schwüngen zum Schnee
Pflügen die kargen Rinnen -
Und johlende Stampeden melken unser Blut
Walter Baco
Willkommen
im Kreis
der Theoretisch-Erleuchteten
Wir nehmen
euch beim Wort,
beim Kragen
oder sonstwo.
Die Armen schuften,
die Reichen kassieren –
eine zeitgemäße Arbeitsteilung.
Noch nie richtig hingeschaut
Kaum je hingehört
Nie das wirkliche Leben gespürt,
das reine Sein geschmeckt
am Wesentlichen vorbeigegangen
Willkommen!
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Und auf Wiederlesen! |
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