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lauter niemand |
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Die Berliner Zeitschrift für Lyrik und Prosa |
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kam meistens einmal im Jahr heraus und war mit 8000 Exemplaren eine der auflagenstärksten Literaturzeitschriften in Deutschland. Mit dieser Auflage konnte sie deutschlandweit im Presse- und Bahnhofsbuchhandel erscheinen und fand ihre Leser auch außerhalb des Literaturbetriebs. In kaum einer anderen Literaturzeitschrift gab es pro Ausgabe so viele Autoren mit ihrer Lyrik und Prosa zu entdecken. Das Erscheinungsbild von lauter niemand bestimmte das Ziel, möglichst viele zumeist unbekannte und daher überwiegend junge Autoren für einem geringen Kaufpreis möglichst weit zu verbreiten. Der Freund neuer Literatur, der lauter niemand zum ersten Mal im Presseständer entdeckte, mag sich zuerst über das freundliche Aussehen und den seltsamen Titel dieser Tageszeitung verwundert haben. Nicht immer wird eines der gewählten Papiere ohne Aufbewahrung in lichtfreien Räumen die Zeitschrift als Sammlerstück die Zeiten überdauern lassen, das lässt sich jetzt schon sagen. |
Die Redaktion von lauter niemand suchte im gesamten deutschsprachigem Raum nach formal interessanten Texten mit ungewöhnlichen Perspektiven auf ein Thema, oder nach Texten mit ungewöhnlichen Themen: Sie sollten natürlich an Ihrem eigenem Anspruch gemessen gut geschrieben sein. In jeder Ausgabe wurde dazu ein Künstler mit einigen seiner Arbeiten vorgestellt. Die Idee der Zeitschrift war es, den Lesern heranreifende Autoren auf der Höhe ihrer Möglichkeiten vorzustellen und so nicht nur zu zeigen, welchen Weg die Literatur nehmen wird, sondern ihn direkt zu beeinflussen, denn viele Leser der Zeitschrift waren selbst Autoren und reagierten mit ihrem eigenen Schreiben auf die gelesenen Texte ihnen vergleichbarer Kollegen. So ist die Zeitschrift selbst nur ein Teil der vielfältigen Aktivitäten der Autoreninitiative lauter niemand als einem der lebendigsten und vor allem literarisch fruchtbarsten Teil der Berliner Literaturszene gewesen. |
Die Autoreninitiative lauter niemand wirkt auf dieses Weise bereits seit 1996 als Katalysator für neue Literatur in Berlin. Es sind in der Geschichte von lauter niemand neben Prosaautoren vor allem Lyriker, die als unbekannte und junge Autoren in der Zeitschrift veröffentlicht wurden oder an den Veranstaltungen der Initiative teilnahmen und mittlerweile zu wichtigen Stimmen der jüngeren deutschsprachigen Literatur geworden sind. |
Der lauter niemand e.V. ist so „arm aber sexy“ wie die Hauptstadt. Einzelne Projektförderungen, welche der Querfinanzierung dienten, sowie private Sponsoren ermöglichten immer wieder das Erscheinen. Letztlich arbeitet der Verein aber unabhängig von öffentlichen Geldern oder Verlagen. Dies wurde durch die ehrenamtliche Mitarbeit der Mitglieder und Freunde der Autoreninitiative gewährleistet, welche zumeist selbst Autoren sind. Trotz der mittlerweile professionellen Strukturen des Vereins war daher jede Herausgabe ein gemeinnütziges Projekt neben einem Literaturmarkt, der sich immer mehr auf das Altbewährte oder leicht Eingängige herauszukristallisieren begann. Da zugleich der Pressehandel immer weiter durchökonomisiert wurde, ist es für reine Kulturpflanzen wie lauter niemand immer schwieriger sich zu behaupten. Das Kriterium ist mit der Förderung von Kunst und Kultur eben ein völlig anderes, als wirtschaftliche Erfolge zu landen. Zugleich bot sich das Internet als Ausweichraum zur Veröffentlichung an, selbst wenn hier Öffentlichkeit in vielen Fällen nur durch ein Treffen von Gleichgesinnten simuliert wird. Da es hier vergleichsweise einfach scheint selbst in Erscheinung zu treten, wurde es immer schwieriger einen Aufwand zu begründen, bei dem es in erster Linie um die Herausgabe anderer Leute ging. So blieb die Hauptarbeit an immer weniger Stellen hängen. Daher ist dieses Unternehmen eingestellt worden, obwohl es eigentlich nach wie vor gebraucht werden würde. Diesen Bedarf zeigte die ständig steigende Zahl an Texteinsendungen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum. Lauter niemand ist über die Jahre auch über die anderen Projekte und Initiativen zu einem bundesweiten Netzwerk von Autoren, Künstlern und Musikern gewachsen. Nur die letzten Jahren beschränkte sich die Arbeit vor allem wieder auf das, wo lauter niemand in jedem Fall unersetzlich ist, nämlich den persönlichen Austausch im konzentrierten und intensiven persönlichen Gespräch über Literatur und Philosophie. Dies braucht nichts als die Lust dabei zu sein und nicht selten eine gute Portion an dem Wahnsinn, ohne den eine wirklich Entwicklung zumeist nicht statt findet. Und so eine Entwicklung sowohl im Persönlichen wie im Allgemeinen anzustoßen, dies ist die Kernkompetenz von lauter niemand.
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Berlin im April 2015
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