editorial 01. ausgabe
 
druck
 
Berlin, 20.Juni 1996
Lieber Leser, liebe Leserin,

der Literat an sich ist einsam, die Literatin auch. Die Zeiten sind vorbei, da mehr als Mutti, Susi oder Ernst an den Lippen ihrer Dichter hingen. Sehen wir es ein: Die großen Erzählungen, sie sind vorbei. Das Wort am Anfang: Niemand ist bestimmt, es seiner Formvollendung zuzutreiben. Allein gelassen, so finden wir uns auf einer Datenautobahn am Ende des Jahrtausends. Schwer beladen rauschen Katastrophen von Gegenwart zu Gegenwart. Sprachlos bleiben wir zurück, Wächter im Museum ausgedienter Träume in einem Vorort der Megalopole. Was hoffen wir auf Cybersex in einer Einzimmerwohnung, Mitte, Hinterhof, ofenkalt und Außenklo, da der Finanzminister schon am Glücksrad dreht und uns den Zahnersatz ersatzlos streicht? Leben und schreiben in der Krise: Was regt sich im Netzwerk außer dem Selbstgesprächen der Bilanzen? Die letzten Clowns, die glauben, daß die Welt sie bräuchte? Die Bewohner eines kleinen unbesetzten Dorfes inmitten des globalen? Don Quichoten, die sich auf ihrer Rosinante pegasusbeflügelt in den Dichterolymp stürzen sehen? – Wer spitzt die Feder, mit der er Polyphem ins Bildschirmauge trifft? – Niemand? Lauter Niemand?

Carlos Koma
 
Leserbriefe
 
Berlin, 20 Juni 1996
 
Liebe Herausgeber, liebe Herausgeberin,

seid Ihr ganz daneben? Nicht nur, dass Ihr und Eure AutorInnen unentgeltlich schuftet, auch was dabei herauskommt, kostet keine müde Mark. Wir machen`s jetzt wohl umsonst, oder was? In unserer Spaßdeppublik darf das nur was kosten, wenn ein Kritikpapst es vorher abgesegnet hat, meint Ihr das? Auf dem Krabbeltisch, zwischen Einkaufsorgie und Kneipentour, wo jeder Bierpreis den von Eurem Blatt bei weitem übersteigen würde, macht Ihr Euch als Packpapier zu Diensten. Es ist echt zum Kotzen. Mögen Euch die Leser im Scheinschlag niemals finden: Nieder mit lauter niemand.

Cerina Koller